Aethermagie
Mund, wollte erklären, dass er festgeschnallt sei, da schob der wartende Wärter den Lederkeil zwischen seine Zähne. »Beiß fest zusammen«, flüsterte er. »Du willst doch nicht aussehen wie sie.« Mit einer schnellen Bewegung fixierte er den Keil auf beiden Seiten an der Kopflehne der Liege und trat zurück. Im gleichen Augenblick verwandelte sich die schmale ältere Frau mit der hoheitsvollen Attitüde ohne jede Vorwarnung in ein tobendes, schreiendes, um sich schlagendes, vor Hass und Wut förmlich sprühendes Wesen, das der Hölle entsprungen zu sein schien. Sie spuckte, geiferte und kreischte, kratzte und trat, schlug auf Jewgenij ein, warf sich auf ihn und krallte nach seinen Augen, biss ihn, prügelte mit den Fäusten gegen seine Arme, seine Brust. Jewgenij musste es notgedrungen über sich ergehen lassen, wandte nur, soweit es möglich war, den Kopf ab und schloss ergeben die Augen. Dann traf ihn ein Fausthieb, der seine Ohren klingeln ließ, und er spürte, wie sich eine gewitterdunkle, erstickende Wolke der Wut in seinem Inneren zusammenballte, in seinen Kopf stieg, ihm die Augen aus dem Kopf trieb und alles in einen blutroten Dunst hüllte. Er stöhnte und bäumte sich gegen die fixierenden Gurte.
»Sehr gut«, hörte er durch das Rauschen des Blutes in seinen Ohren. »Ich dachte schon, er ist ein Blindgänger.« Der Arzt beugte sich vor und legte einen Schalter an dem blau glühenden Kasten um, dann begann er mit Glaskolben und -röhren zu hantieren, die er an das Gerät anschloss. Das Glühen wurde heller und wechselte in einen rötlich-violetten Farbton, der zunehmend greller wurde. Der Kasten summte und es roch stechend nach Ozon. Die Frau ließ mit einem letzten, schrillen Aufschrei von Jewgenij ab. Der Wärter packte ihre Arme und bog sie nach hinten. Der Arzt stieß die vorbereitete Spritze in ihren Arm, drückte den Kolben hinunter, zog die Spritze heraus und warf sie in eine Schale auf dem Tisch. Der Wärter wickelte die Frau ohne große Umstände in ihre Jacke. Dann nahm er ihr den Stirnriemen ab. Das Ganze wirkte in seiner Leichtigkeit und dem Tempo, in dem es passierte, wie ein einstudiertes Ballett. Die Frau sackte zusammen wie eine Puppe aus Lumpen und Wolle, die Grünwald mühelos auffing.
Jewgenij schnappte nach Luft, denn der Zorn, den er gerade noch gespürt hatte, war mit einem Schlag verschwunden und hinterließ nur ein Gefühl von Leere und nachtschwarzer Taubheit.
»Haben wir es?«, fragte der Arzt in aller Ruhe. Glas klirrte. Der Wärter legte die bewusstlose Frau behutsam auf eine Trage, die er zuvor unter dem Tisch hervorgezogen hatte, blickte auf den summenden Kasten mit seinen leuchtenden Anzeigen und rief: »Volle Leistung.«
»Schalten Sie ab.«
Das Summen wurde leiser, verstummte. Der Arzt beugte sich über Jewgenij und zog seine Augenlider herab. »Wie viel haben wir ihm gestern gegeben? Drei Sekunden?«
»Drei«, bestätigte der Wärter.
»Dann versuchen wir heute fünf.« Seine Hand näherte sich dem roten Knopf und drückte ihn.
»Fünf war gestern zu wenig. Ich gebe ihm heute sieben, dann können wir morgen ja wieder auf sechs zurückgehen.«
»Lasst ihn hier unten, es ist zu mühsam, ihn in diesem Zustand in den Aufzug zu bugsieren. Zimmer 26 ist frei.«
»Sechseinhalb Sekunden. Perfekt.« Er drückte den Knopf.
»Sechseinhalb.«
»Sechsein…«
»Sechs…«
»Se…«
»Gleich sind wir da«, sagte der große Mann und lenkte ihn mit dem Druck seiner Hand durch eine Tür. »Heute bekommst du dein Frühstück erst nach der Behandlung. Bist du überhaupt hungrig?«
Jewgenij konnte nur verschwommen sehen. Er blinzelte, um den Schleier vor seinen Augen zu vertreiben. Wieso war er nicht in seiner Zelle, auf seinem Lager? Wo war er hier? Wieso führte ein Mann in weißer Kleidung ihn durch diesen hell ausgeleuchteten Korridor? Er hatte Schmerzen. Sein Kopf. Und andere Schmerzen, wie von Kratzern und Schlägen. Er war … wo war er hier überhaupt? Das war nicht das Rote Haus. Er war … ein Krankenhaus? Es roch wie ein Krankenhaus und sah auch so aus. Hatte er einen Unfall gehabt? Was war geschehen? Warum trug er diese seltsamen grauen Kleider?
»Wo bin ich?«, fragte er. Seine Stimme klang dumpf und schleppend, so fremd, dass er darüber erschrak.
Der Mann – ein Wärter? – drückte seinen Arm. »Es wird dir gleich besser gehen, Moroni«, sagte er beruhigend.
Jewgenij wollte sich nicht beruhigen lassen. Er blieb stehen und hinderte so den Wärter
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