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Aethermagie

Titel: Aethermagie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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Morgen abholte. Der Mann, ein großer, kräftiger Kerl mit einem freundlichen Gesicht, grinste ihn an, deutete zur Tür und sagte: »Gut geschlafen, 329? Ich hab die Jacke mal im Lager gelassen, du bist ja friedlich.« Er benahm sich, als wäre er Jewgenij schon begegnet.
    Jewgenij nickte ihm zu und folgte ihm schweigend. Dann gelangten sie in einen Gang, an dessen Ende sich so etwas wie ein offener Wandschrank befand, dessen Innenleben sich abwärts bewegte. Jewgenij blieb wie angewurzelt stehen. »Da gehe ich nicht rein«, sagte er.
    Der Wärter zog eine Braue hoch. »Mach keine Zicken, 329«, sagte er. »Du hast das gestern überlebt, du wirst es heute überleben. Dies hier ist der einzige Zugang.«
    Jewgenij war so überrascht, dass er sich ohne Gegenwehr in den abwärts sinkenden Schrank schieben ließ. Es wurde dunkel und dann wurde es finster. Er kämpfte seine Beklemmung nieder und fragte: »Wieso – gestern? Du musst mich verwechseln.«
    Der Wärter, den er an seiner Seite spürte, lachte. »Du erinnerst dich nicht? Das kommt vor. Reg dich nicht auf, du hast nicht viel verpasst.«
    Jewgenij kaute an dieser Antwort beinahe noch mehr als an dem Gefühl, lebendig begraben zu sein. Der Boden unter seinen Füßen ruckte, er hörte Zahnräder und Riemen arbeiten. Dann drang Licht in die kleine Kabine, das mit jeder Sekunde heller wurde.
    Der Wärter schob ihn in einen grell ausgeleuchteten, belebten Gang. Jewgenij sah sich erstaunt um. Nach der friedlichen, stillen Atmosphäre der Abteilung D war dieser Ort von einer schmerzhaften Betriebsamkeit.
    »Abteilung D – Keller«, sagte der Wärter in scherzhaftem Ton. »Hier geht es lang, 329.« Er legte Jewgenij die Hand zwischen die Schulterblätter und schob ihn den Gang hinunter.
    »Wie heißt du?«, fragte Jewgenij, der sich verzweifelt an das Normalste klammerte, was er in seiner Umgebung finden konnte: seinen Begleiter.
    »Josip«, sagte der Wärter. »Grünwald, wenn du jemanden nach mir fragst. Die kennen hier alle immer nur unsere Nachnamen.«
    »Grünwald«, wiederholte Jewgenij. Er fühlte eine Dankbarkeit, die er kaum erklären konnte. Der Mann tat seine Arbeit und er war freundlich zu ihm. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger … Er bemerkte den fragenden Blick, mit dem der Wärter ihn ansah und nickte verlegen.
    »Baldo Moroni … meine Nummer kennst du ja.«
    »Moroni.« Der Wärter nickte mehrmals. Seine Miene verfinsterte sich. »Wir sollen uns nicht mit euch unterhalten«, erklärte er leise. »Das hier ist die Abteilung ohne Wiederkehr, hier landen nur die hoffnungslosen Fälle, die Mörder ohne Reue und Gewissen. Du weißt, dass du hier nicht so leicht wieder rauskommst, oder?«
    Jewgenij nickte knapp. »Ich dachte mir so was.« Er wich einem Wärter aus, der ihnen entgegenkam. Der Mann begleitete ein schmales, halbwüchsiges Mädchen, das mit wirrem Haar und hängenden Schultern in seiner grauen Kleidung vor ihm herging, den Kopf gesenkt. Jewgenij sah, dass das Mädchen statt einer Nummer wie alle anderen ein großes rotes »X« auf seiner Jacke trug.
    »Was bedeutet das Zeichen?«, fragte er und wollte ihr nachsehen, aber Grünwald griff mit einem beinahe ängstlichen Kopfschütteln nach seinem Arm und zog ihn weiter. Sie bogen in einen zweiten Korridor ein. Grünwald blieb stehen und sah sich um. Hinter ihnen räumte ein anderer Wärter klappernd schmutziges Blechgeschirr und Instrumente auf einen Metalltisch, was einen infernalischen Lärm machte. »Was hast du verbrochen?«, fragte Grünwald leise.
    »Hab vier Menschen erschlagen«, erwiderte Jewgenij ebenso gedämpft. »Raubmord. Ich bin geliefert, Grünwald.«
    Der große Wärter biss sich auf die Lippe. »Ich hab eine Menge von euch hier erlebt«, sagte er. »Die meisten waren so durchgeknallt, dass sie ihr eigenes Gesicht im Spiegel nicht mehr erkannt hätten. Aber seit einem Jahr kommen auch solche wie du mit klarem Verstand. Ich weiß nicht, was ich schlimmer finde.« Er fixierte Jewgenij mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination in den Augen. »Wie kann man nicht verrückt sein und trotzdem Menschen abschlachten?«
    Jewgenij zuckte die Achseln. Einer der grau gekleideten Wärter kam an ihnen vorbei und sah sie scharf an. Der Wärter Grünwald senkte den Blick und schob Jewgenij hastig weiter voran. »Es ist schon besser, dass du hier bist«, sagte er so laut, dass der Wärter ihn hören konnte. »Die machen eine wichtige Arbeit hier. Es wird den Krieg beenden. Sieh es mal so: Du

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