Aetherresonanz (Aetherwelt) (German Edition)
kompliziert.”
„In unserem Land gab es einen Mann namens Lew Nikolajewitsch Tolstoi”, unterbrach Alexandra die Männer. „Er war ein Adeliger. Nachdem er lange freiwillig im Krieg gedient hat, erkannte er, dass es so nicht weiter gehen konnte. Er gründete eine Schule für arme Kinder, wo sie lernen konnten, ohne verprügelt zu werden. Man schloss ihm die Schule. Er schrieb dicke Bücher, in denen er den Krieg verurteilte. Man wollte ihm den Friedensnobelpreis geben, aber er lehnte ab. Reichtum bedeutete ihm nichts. Er betrieb eine Suppenküche und schlichtete als Richter Streitigkeiten. Er ist letztes Jahr gestorben. Er war ein großer Mann.
Wir haben auch Armut in Russland, und wir haben Adelige, die sich nicht darum kümmern. Aber manche kümmern sich. Manche finden das ganz leicht, was anderen schwerfällt. Ich glaube, euer Problem ist nichts Neues oder Einmaliges, also sprecht darüber.”
Sie schenkte sich und den Männern noch einmal ein. Die Flasche war schon halb leer und Friedrich war sprachlos.
Dann fing Koch an zu erklären, und Alexandra und Friedrich hörten lange zu.
* * *
Nachdem sie hastig die Bühne und den Hintergrund durchsucht hatte, fand Annabelle hinter dem Weihnachtsbaum eine Falltür im Boden. Sie öffnete sie vorsichtig und fand eine Trittleiter. Aber sie fand keinen Lichtschalter und konnte sich nicht überwinden, die Leiter in das unbekannte Dunkel herunter zu klettern.
Außer ihrem Atem gab es kein Geräusch. Sie ging noch einmal zur Tür und legte die linke Hand auf den Türknauf. Vielleicht konnte sie damit etwas erreichen? Im letzten Winter, als sie auf ein startendes Luftschiff geklettert war, hatte sie eine dicke Scheibe eingeschlagen, nachdem sie diese irgendwie verändert hatte. Aber damals war Annabelle voller Æther gewesen, und hatte keine Kontrolle über sich gehabt.
Jetzt stand sie hier und hatte keine Ahnung, was sie tun sollte! Sie sah sich um. Ihr Blick fiel auf die reglose Puppe, die ihren Vater darstellte. Vor nicht allzu langer Zeit war diese auch voller Æther gewesen. Vielleicht war noch etwas übrig, möglicherweise konnte sie diesen Æther irgendwie aufnehmen? Ihr wurde übel bei dem Gedanken, aber sie musste es versuchen. Vorsichtig zog sie den Handschuh aus und näherte sich der Parodie des Professors. Bevor sie aber den Kopf der Puppe berührte, legte sie den Otter wieder an. Zu ihrer Überraschung spürte sie bei der Berührung tatsächlich etwas. Es war nicht das wilde Brausen des Æthers, dieses britzelnde Versprechen von Macht und Möglichkeiten. Nein, es war ein geordnetes Tasten und Pulsieren, ein ruhiges Warten, eine samtene Freundlichkeit, messingfarbenes Flüstern und klickendes Takten.
Die Puppe hob ihr Gesicht und sah sie an. Es gab keinerlei Ähnlichkeit mehr mit ihrem Vater, es war einfach nur ein Gesicht aus silbernem Metall. Es war alles nur eine Illusion gewesen, geformt von Valentins seltsamen Kräften.
„Was kann ich für dich tun, mein Kind?”, fragte die Maschine monoton.
Annabelle erschrak und ihre Hand zuckte zurück. Die Maschine erlosch aber nicht wieder, sondern betrachtete sie ruhig.
„Ich weiß nicht …”, stammelte sie.
„Ich brauche genaue Befehle.”
„Ich möchte hier raus”, brach es spontan aus ihr heraus.
„Wohin?” Wohin? Was für eine Frage … aber: „Was gibt es für Möglichkeiten?”, fragte Annabelle hoffnungsvoll.
Die Maschine schien zunächst überfordert, aber dann ratterte sie los: „Als komplette Einheit könnte ich nur zu der Tür dort heraus, oder durch die Falltür. Zerfalle ich in meine Subeinheiten, könnte ich auch durch die Schächte hinter der Bühne, und als kleinste Einheiten würde ich es sogar durch einige Ritzen hier schaffen.”
Annabelle blinzelte. Sie hatte nicht wirklich begriffen, wovon die Maschine sprach.
„Kannst du die Tür öffnen?”, fragte sie.
„Ich weiß es nicht.”
Annabelle überlegte. War es überhaupt sinnvoll, durch diese Tür zu wollen? Was, wenn sie Valentin in die Arme lief? Aber sie könnte zu Otto und mit ihm und Johanna zusammen fliehen.
„Was ist unter der Falltür?”
„Dort geht es zum Nest.”
„Ein Nest?”
Die Gestalt antwortete nicht. Annabelle versuchte es anders: „Gibt es dort noch einen anderen Ausgang.”
„Als komplette Einheit?”
Was war das wieder für eine Frage? ”Für mich.”
„Die »Oberste Ordnung« könnte einen bauen.” Annabelle verstand das immer noch nicht, aber sie wollte jetzt nicht mehr fragen,
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