Aetherresonanz (Aetherwelt) (German Edition)
Pistole zu ziehen, aber als sie sie in der Hand hatte, schlug die Puppe ihr die Schusswaffe aus der Hand. Klappernd rutschte die Pistole aus ihrer Reichweite, Annabelle rollte zur Seite, zog sich hastig am Geländer hoch und rannte so schnell sie konnte zur Treppe. Sie hörte ein merkwürdiges Geräusch hinter sich und erkannte, dass die Metallfrau sang – sie trällerte mit einer grässlich verzogenen Grimasse in einer herrlichen Sopranstimme eine Arie, während sie Annabelle verfolgte.
Annabelle stolperte die Treppe hinunter und rannte durch die Halle. Der Æther war hier kniehoch und immer wieder standen kleinere Maschinchen vor ihr im Nebel versteckt, um die sie herumlaufen musste. Manche hatten wieder begonnen sich zu bewegen und surrten scheinbar ziellos hin und her. Wohin sollte sie fliehen? Sie sah nur einen Ausweg: nach vorne, zu dem Arm, der über den Fluss führte. Sie hörte es hinter sich Scheppern und Klappern und wagte es kurz sich umzuschauen. Vor der Metallfrau bauten sich aus dem Nebel Gestalten auf, die sich ihr in den Weg stellten: Hundsgroße Hirschkäfer, deren Zangen nach ihr schnappten, Spinnen, so groß wie ein kleines Pony, die drohend ihre Vorderbeine erhoben und mit Giftzähnen drohten.
Aber die Frau sang ohrenbetäubend laut, und die Konstruktionen schienen von unsichtbaren Kräften wieder in winzig kleine Teilchen zersprengt zu werden. Allerdings verlangsamten sie die Sängerin, und so konnte Annabelle eine Leiter erreichen, die zu dem Arm hinauf führte. Keuchend erklomm sie sie und drehte sich noch einmal um.
Sie hatte viel Æther eingeatmet und spürte jetzt, wie er sie beeinflusste: Das Blut kochte in ihren Adern, ihre Haut fühlte sich gleichzeitig heiß und kalt an und sie fühlte sich riesig und mächtig. Sie war mächtig, und sie würde sich nicht mehr herumschubsen lassen! Sie machte eine ausschweifende Handbewegung, mit ihrer linken Hand, als schöbe sie Wasser vor sich, um eine Welle zu formen. Der Æther reagierte, formte sich nach ihrem Willen und sie drückte die Welle der Spukgestalt entgegen.
Die Ætherwoge leuchtete intensiv grün und kleine Blitze durchzuckten sie, als sie auf die Frau zuschwappte und sie überrollte. Die Puppe verlor das Gleichgewicht und krachte zu Boden, ihr Gesang verstummte. Sofort surrten und wirrten, krabbelten und klickerten Millionen von kleinen Metallteilchen von überallher und bedeckten ihren Körper.
Annabelle drehte sich um und balancierte auf den Metallstreben hinaus.
* * *
Sie kamen an eine Wendeltreppe und hörten über dem Stampfen der Dampfmaschine einen seltsamen, sirenenartigen Ton. Der Professor und die Metallfrau bewegten sich plötzlich ruckartiger, nicht mehr so flüssig.
„Was ist das?”, fragte Paul.
„Die - Musik - des - Nests”, sagte der Metallmann abgehackt.
Paul erschrak. Das war genau das, was er befürchtet hatte! Es schien irgendwie möglich, die Kontrolle über die »Oberste Ordnung« durch diese Musik zu bekommen.
Sie erklommen die Treppe und schwärmten aus. Hier oben konnte man den Ton der 'Sirene' als Lied erkennen. In der Halle stand eine Metallfrau, die mit ausgebreiteten Armen eine Arie sang. Um sie herum bildeten sich aus silbrig-schwarzen Strudeln bösartig aussehende Hunde mit gefletschten Zähnen und grün glühenden Augen, die sofort knurrend auf die Gruppe zurannten.
„Der Bader ist dort oben”, schrie Hartwig, zeigte hinauf zur zweiten Ebene und sprang mit kraftvollen Sätzen nach oben.
Schneider nickte und erklomm hinter ihm die Wendeltreppe in den zweiten Stock.
Friedrich und seine Leute schwärmten in Kampfformation aus, die Polizisten feuerten aus einer Deckung auf die Metallmonster und die Mannwölfe rissen sich die hinderlichen Kleider vom Leib.
Paul war fassungslos und suchte nach einer Möglichkeit, die Kontrolle zu erlangen. Er musste wieder eine Verbindung zur »Obersten Ordnung« herstellen, aber wie? Er konnte nur spekulieren, wie es ihm das erste Mal gelungen war. Er lauschte der Arie und erkannte sie: Sie war aus der »Zauberflöte« und trug den unheilvollen Titel: »Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen«. Mozart. Paul mochte Mozart nicht besonders. Die Musik war zu verspielt, zu leicht, zu wenig strukturiert. Er hatte die Oper dennoch schon ein paarmal gelesen – das war eines seiner Hobbys. Die Musik des Nests, dachte er. Musik: Es ist etwas Mathematisches an Musik, an gut komponierter Musik, vor allem an seinem Lieblingskomponisten Bach. Musik war manchmal
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