Aetherresonanz (Aetherwelt) (German Edition)
verschwunden”, sagte sie und klang verwundert. „Da war jemand, ein Mann, er hat uns etwas gezeigt ...” Sie legte den Kopf schief und lauschte. Dann lächelte sie grausam und zeigte auf Annabelles Armband. Valentin drehte sich zu Annabelle um.
„Das war dein Paul”, spuckte er heraus.
„Paul ist hier?” Hoffnung!
Valentin packte sie am Arm und zog sie grob zu sich: „Ja, aber er wird dich nicht bekommen.” Er umschlang sie fest und küsste sie heftig. Sie versuchte sich zu wehren, aber es ging nicht. Er war stark, seine Arme waren wie aus Stahl, und sie bekam kaum Luft. Er war erregt und alles in ihr sträubte sich dagegen. Sie bekam furchtbare Angst und ohne weiter nachzudenken, tastete sie mit ihrer linken Hand nach einem bloßen Stück Haut, berührte seinen Arm und tauchte in ihn ein.
Sie blinzelte und sah sich um. Sie befand sich auf dem Grundstück der Baders, aber nicht, wie sie es bei ihrer Ankunft vor ein paar Tagen wahrgenommen hatte, sondern so, wie sie es von früher in Erinnerung hatte. Die Sonne schien freundlich und tauchte alles in ein wunderbares, aber unechtes warmes Gelb. Alle Farben waren verstärkt, wie auf einem Kinderbild. Ein weicher und würziger Wind streichelte ihre Haut und sie roch Heu, Sommerblumen und Erde. Neben ihr stand Valentin, er war noch ein Junge, nicht älter als 14 Jahre, und sie erinnerte sich, dass es ihr letzter Besuch gewesen war.
Er war schlaksig und bestand aus vielen Gelenken, die nicht richtig zu funktionieren schienen. Sie spürte die Intensität, mit der er sie betrachtete, und sie sah sich selbst, braun gebrannt, sommersprossig, den Rock hochgesteckt, lange Beine und geflochtene Zöpfe.
Sie spürte das Verlangen, er näherte sich ihr, es war sehr verwirrend, ihr Gesicht durch seine Augen zu sehen, ihren Mund und er wollte sie spüren, für einen Moment schloss sie auch ihre Augen, neugierig auf die Empfindung, wenn seine Lippen die ihren berühren würden, aber dann gluckste es in ihr hoch: Das war doch Valentin, der ungeschickte Junge, und küssen war eklig, oder?
Sie lachte, öffnete die Augen und rannte weg, und fühlte gleichzeitig seine Ohren brennend rot werden, die verdammten Ohren, das Blut rauschte in den Ohren, durch den Unterleib, die Scham war so intensiv, so alles durchdringend, wenn doch nur die Welt jetzt enden würde, wenn dieser Moment nie stattgefunden hätte, wenn …
Sie sah grüne Fäden fast unsichtbar durch das Gras winden, um Valentin herum, der am Fluss saß und seine Verzweiflung mit den Wangenmuskeln zerkaute, die Fäuste ballend und sich verfluchend. Immer mehr Fäden wanden sich um ihn, woben ihn in einen Kokon, fast wie eine Larve, und er schlief.
Sie hörte sich rufen, sie hatte ihn gesucht, es tat ihr leid. Der Kokon hob sich von dem schlafenden Jungen ab und wie eine angriffslustige Schlange wartete er auf sie, dass sie durch das hohe Gras kam und dann würde er sie angreifen, beißen, vergiften … Valentin schlug die Augen auf und die Ætherschlange zerfaserte im Sonnenlicht. Sie rannte auf ihn zu, damals im Sonnenlicht – aber plötzlich verdunkelte sich der Himmel und sie erkannte, dass es nicht Valentin war, sondern sein Ætherzwilling, der sie einfing und fesselte, der lachte und begann, sie einzuhüllen, in sie einzudringen, durch den Mund, die Haut, in jede Pore …
Ihre Hand brannte wie Feuer und sie begann, sich zu wehren. Sie griff nach ihm mit grässlichen Krallen und riss das grüne Gewebe entzwei, ritsch-ratsch, es zerfetzend, immer weiter zerstörend, rasend, wütend, bis sie feststellte, dass ihre Finger glitschig vor Blut waren, es klatschte in dicken zähflüssigen roten Tropfen von ihren Fingern auf den Boden, spitzte in ihr Gesicht, auf ihre Kleidung und sie sah Valentins Gesicht vor sich, aus den tiefen Kratzern lief das Blut in Strömen über seine Augen zu seinem Kinn, und er schrie vor Schmerz, brüllte wie ein Tier und fiel zu Boden.
Sie stand über ihm und sah den grünen Wirbel über ihrer Hand, der Valentins Zwilling gewesen war, sah das Blut, sah Valentins zerstörtes Gesicht und drehte sich weg. So schnell sie konnte, rannte sie die Treppe herunter und floh.
Kapitel 12
Sie strömten durch die Tunnel, Polizisten, Soldaten, Mannwölfe, Paul und die mechanischen Puppen. Das Haus gehörte wieder Rudolf Bader und seinen Dienern. Friedrich hatte die Blitzmechanik wieder angelegt.
„Was geschieht hier?”, fragte er seinen Bruder.
„Ich bin mir nicht sicher”, sagte
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