Aetherresonanz (Aetherwelt) (German Edition)
betrachtet hätte.
Ein Bild an der Wand fiel ihr ins Auge. Es war eine Zeichnung von einer Küste. Man sah das Meer über eine Böschung hinweg, der Himmel war düster und wolkenverhangen. Der Blick wurde auf einen Stein gerichtet, der leicht schief im Gras stand. Auf dem Stein befand sich eine Zeichnung, ein Relief, das eine Spirale darstellte.
Das Bild passte nicht zur übrigen Einrichtung, aber das war nicht der Grund, weshalb es ihre Aufmerksamkeit fesselte. Alexandra sah am Rahmen silbrige Fäden, ähnlich den Inschriften, die sie über der Tür entdeckt hatte. Sie nahm das Bild ab und steckte es in die Tasche. Diese war nun fast voll und schwer. Was könnte sie noch mitnehmen? Sie schloss die Augen und versuchte sich der Stimmung des Raumes hinzugeben. Es roch nach Papier, Leder und Mottenkugeln. Alexandra drehte sich hin und her.
Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie auf den Schrank, aus dem sie die Tasche genommen hatte. Kleidung? Sie beschloss, dem Impuls nachzugeben und nahm eine Anzugjacke aus Tweed heraus. Sie hatte die typischen Lederbesätze an den Ellenbogen, die man bei englischen Gentlemen sieht. Sie war kratzig, roch aber nach Pfeifentabak und Moos.
Sie legte die Jacke über den Arm, griff nach der Tasche und verließ den Raum.
* * *
Valentin zog einen Hebel, bis er klackend einrastete, drückte einen Knopf und der Anker senkte sich rasselnd in dem Fluss. Das riesige metallene Schiff ächzte und knarrte in der Strömung, den immer noch qualmenden Bug flussabwärts zu den brennenden Hallen der Bader-Werke gerichtet. Annabelle hatte Rudolf Baders Hand genommen; wie sie es erwartet hatte, war sie eiskalt.
Nun blickte sie kurz zu Paul, der hinter ihr stand und dann zu Valentin. Der drehte sich um, aber bevor er etwas sagen konnte und vielleicht gar die Luftschiffe entdeckte, griff sie schnell seine Hand und schloss die Augen.
Die Welt verschwand.
Sie tanzte. Ein Orchester spielte einen Walzer und sie drehte sich. Ihr Tanzpartner war ein junger Rudolf Bader, sie erkannte die Ähnlichkeit mit Valentin, wenn er auch kantiger und rauer war. Sie spazierte mit ihm durch einen mondbeschienenen Garten, er kniete vor ihr, und ein Diamantring glitzerte wie ein Stern in seiner Hand.
Sie erlebte Leidenschaft, Umarmungen, Lust, Vertrautheit, Heiterkeit, auch Eifersucht. Sie reisten, aber er arbeitete viel. Sie verlor ein paar Kinder in einem frühen Stadium, jedes Mal starb etwas von ihr. Sie sang, am Anfang noch in großen Häusern, dann nur noch ab und zu in der Kirche, Zuhause für Gäste, oder für ihn allein. Aber das reichte nicht. Sie brauchte das Publikum, die Resonanz, die man nur erlebte, wenn man seine Gefühle mit anderen teilen konnte.
Sie verlor sich. Ihre Stimme hallte im leeren Haus und sie fühlte sich fast körperlos. Dann wieder war der Körper eine Last, weil er nicht so funktionierte, wie sie es sich wünschte, und sie schleppte ihn mit sich herum, schmerzend sowohl außen als auch innen.
Sie wurde immer stiller, er arbeitete immer mehr. Sie wurde wieder schwanger, aber sie sagte es ihm nicht. Sie wagte es nicht, sie versuchte es zu ignorieren als etwas, das geschah, aber keine Bedeutsamkeit hatte. Aber entgegen allen Erwartungen verlor sie die Frucht diesmal nicht. Zusammen mit dem neuen Leben wuchs die Hoffnung.
Als die gefährliche Zeit vorbei war, und es sich nicht mehr verbergen ließ, erzählte sie es ihm und er weinte. Sie spürte die Bewegungen des Kindes, blühte auf, sang und lachte wieder, ging spazieren, aber er wollte das nicht, er wollte, dass sie zu Hause blieb und sich schonte. Aber sie fühlte sich doch wohl, sie war endlich wieder eins mit ihrem Körper, der das neue Leben zuverlässig trug.
Als es mühsam wurde zu gehen, baute er ihr das Glashaus, und sie liebte es. Eines Tages klagte sie über Kopfschmerzen und legte sich ins Bett. Die Schmerzen wurden nicht besser, sie erbrach sich, dann krampfte sie. Sie wurde in ein Krankenhaus gebracht, und man holte das Kind so schnell es ging, aber sie wusste, dass sie es nicht überleben würde. Sie spürte ihr Leben verebben. Sie wünschte sich, ihr Kind zu sehen, und man brachte es ihr. Sie blickte in seine blauen Augen und dann in die dunklen Augen ihres Mannes.
„Du wirst wieder gesund”, sagte er und seine Augen glänzten.
Sie schüttelte mühsam den Kopf: „Du musst ihn aufziehen. Ich kann nur vom Jenseits aus über euch wachen.”
Seine großen Hände griffen nach ihr: „Geh nicht.”
Aber sie hörte
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