Aetherresonanz (Aetherwelt) (German Edition)
es kaum noch, ihre Hand glitt von der Wange ihres Kindes herunter und sie starb.
Atmen! Annabelle musste sich daran erinnern, dass sie nicht gestorben war, dass sie Annabelle Rosenherz war. Sie war nun in Rudolf Baders innerer Kirche, in dem auch die Statue stand. Bader saß am Fuß der Frau und seine Schultern zuckten, sein Gesicht war in seinen Händen verborgen. Sie sah Valentin, den Erwachsenen, so wie er heute aussah, der die Statue mit einem unergründlichen Blick ansah.
„Sie hat dich geliebt”, sagte Annabelle. Valentin sah sie an und sein Blick war so kalt wie seine Haut. Hier war sein Gesicht nicht zerstört, aber er schien dennoch grün zu leuchten. Seine Arme waren fast so weiß, wie die der Statue und die Wunden hatten sich wieder geöffnet. Aber es lief kein Blut heraus, sondern silberne Fäden, die sich fließend zu absonderlichen Mustern formten.
„Das hat sie wohl”, sagte er leise und nachdenklich. Er berührte die weiße Gestalt, und über seine schwarzen Fingerspitzen wanderten die silbrigen Fäden, die die Frau langsam überwucherten. Wo das Silber die Statue berührte, platzte der Marmor auf und blätterte ab, darunter war rohe Haut, die feucht blutig glänzte. Rudolf Bader stand auf und wischte hektisch die Fäden weg, aber sie sammelten sich um seine Hände wie klebrige Spinnweben, und er verstrickte sich immer mehr in das Gespinst.
„Hör auf damit”, schrie er seinem Sohn wütend zu. „Du besudelst ihr Andenken! Ich wusste, dass du es nicht verstehst, du hast keinen Sinn für Schönheit.” Baders Stimme überschlug sich am Ende, und er wandte sich wieder der Statue zu.
Valentin lachte freudlos: „Siehst du, Annabelle: ob meine Mutter mich nun geliebt hat oder nicht, mein Vater jedenfalls hasst mich.” Annabelle sah, dass Valentins Augen wieder grün leuchteten.
„Er ist nur ein Mensch!”, sagte Annabelle und wunderte sich, dass sie Rudolf Bader verteidigte, denn sie billigte es nicht, wie er sein Kind aufgezogen hatte. Aber das hatte hier keinen Platz. Es ging darum, Valentin aufzuhalten. „Du musst endlich loslassen! Werd erwachsen!”, schrie Annabelle ihn an.
Valentin riss den Blick von seinem Vater los und sah Annabelle an: „Wer sagt das? Du? Kannst du denn deinen Vater loslassen?” Er zeigte mit dem Finger auf sie und ein grüner Pfeil löste sich daraus und traf sie in die Brust. Es tat weh und war verwirrend, für einen Moment wusste sie nicht, was sie sagen wollte. Warum sollte sie ihren Vater loslassen?
Sie hob die Hand und der Azurit leuchtete strahlend blau: „Das ist etwas anderes. Er lebt noch.”
„Illusion! So wie das alles hier eine Illusion ist!”, spuckte Valentin aus und versprühte mit seinen Fingern weitere Ætherpfeile auf sie, die sie aber mit dem Ring abwehrte.
Er krallte seine Hand in die Statue, der Stein bekam Risse, es krachte und sie zerbrach: „Nichts als ein Trugbild. Ich kann hier machen, was ich will!”, brüllte er zornig.
Rudolf Bader schrie auf und stürzte sich auf seinen Sohn. Sie kämpften stumm. Valentin war viel stärker als sein Vater und lachte höhnisch. Der Ætherzwilling erschien wieder, dämonisch grinsend und substanzieller als je zuvor.
„Hört auf!”, schrie Annabelle, aber sie konnte nichts tun. Ihre Hand brannte und sie sah, dass die Kristalle wieder blendend leuchteten. Blau-weißes Gleißen wetteiferte mit dem schneidenden Grün des Æthers, der plötzlich von allen Seiten hoch wirbelte.
Es zerriss sie fast, alle Gefühle, die sie hinter den Staudamm gedrückt hatte, strömten auf sie ein: Die Wut über Valentins Verhalten, ihre Zweifel an ihrem Vater, die Erschöpfung nach dem tiefen Fall, als sie dachte, Paul wäre tot, die Scham, dass sie wieder und wieder vom Æther verführt wurde. Sie sah Valentins Ætherzwilling, der seine Spitzen in Rudolf Bader stach, und begann zu hassen. Sie begriff, dass Vater und Sohn sich gegenseitig zerstörten, schon lange, und es gab für die beiden kein Zurück mehr. Annabelle verachtete beide dafür: Sie konnte deren Fokussierung auf das eigene Leid und das völlige Fehlen von Empathie für die Gefühle der anderen nicht mehr ertragen. Sollten sie sich doch zerstören, sie würde das beschleunigen!
Sie überließ sich ihrer Wut und wünschte sich, dass es ein Ende hätte. Aus ihrer Hand entfesselte sich ein blau-silberner Strom, der wie die Windhose eines Tornados wuchs und um die Statue und die Männer wirbelte. Die Bruchstücke der Statue wurden
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