Aetherresonanz (Aetherwelt) (German Edition)
Platz ihres Vaters gesessen hatte. Dann hatte sie sich in ihn verliebt, weil er ihrem Vater so ähnlich war, sie unterstützte und sie sich so wohl bei ihm fühlte. Er hatte während der Vorfälle im Adlerhorst zu ihr gestanden, und er hatte sie auch jetzt wieder aufgefangen und nach Hause gebracht.
Er hatte ihr nie für irgendetwas einen Vorwurf gemacht, obwohl er viele Gründe dafür gehabt hätte, aber im Gegenteil, er hatte sie immer unterstützt. Jetzt schien er allerdings weit weg und sie fragte sich, ob sie ihn nicht zu sehr gefordert hatte. Für einen kurzen Moment schmerzte in ihr die Wunde, die entstanden war, als sie ihn tot wähnte. Sie drückte sich so nah an ihn, wie es beim Laufen eben ging. Ganz viele unausgesprochene Worte schnürten ihr die Kehle zu. Sie musste sich seiner versichern, musste wissen, dass er immer für sie da war.
Sie stellte sich einen Moment lang vor, er wäre gestorben, dort in den Trümmern, und ein wenig Verständnis für Rudolf Bader und seine Besessenheit flammte in ihr auf. Trotzdem war es nicht richtig gewesen, wie er gehandelt hatte. Sie hatte keine Worte für die Erleichterung, die sie spürte, weil Paul da war, hier neben ihr, mit ihr. Sie befürchtete, dass sie ihn im Moment mehr brauchte, als es gut war.
„Du solltest nach Hause fahren und dich ausruhen”, sagte er plötzlich und sah sich schon nach einer Kutsche um.
Annabelle fühlte sich in ihrem Verdacht bestätigt. Er braucht Zeit, dachte sie, Zeit ohne mich. Sie bekam Angst. Als eine Kutsche anhielt, sah sie ihn an, aber er lächelte nur kurz und half ihr dann einzusteigen. Sie hätte gerne etwas gesagt, aber die Worte blieben ihr im Hals stecken.
„Ich habe noch etwas zu erledigen”, sagte er abwesend, und sie schluckte ihre Frage herunter. „Fahr du schon einmal vor, ich komme dann nach.”
Sie nickte stumm und sah ihm nach, als er die Kutsche losfuhr. Tränen brannten in ihren Augen, als sie seine schlanke Gestalt in dem langen schwarzen Mantel verschwinden sah. Nur mit massiver Willensanstrengung gelang es ihr, sitzen zu bleiben. Sie verkrampfte die Hände vor sich und presste die Zähne zusammen. Was auch immer es war, sie würde kämpfen. Sie konnte ihn jetzt nicht verlieren!
* * *
Sie wusste Zuhause nichts mit sich anzufangen. Frau Barbara nötigte sie zum Essen, aber sie hatte keinen rechten Hunger. Sie ging in ihr Gewächshaus, aber dort gab es zu viel Arbeit, sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte. Richard Naumann hatte einiges gemacht, aber er fühlte sich im Garten wohler. So goss sie ein wenig, nahm sich vor, Dünger zu bestellen und dachte dabei an Pferdeäpfel. Pferde! Sie konnte die Gesellschaft eines Pferdes jetzt gut gebrauchen.
Sie lief in den Stall und fand zu ihrer Freude ihren Wallach Oberon vor, der außer sich vor Übermut gegen die Wände seiner Box donnerte. Sie ging zu ihm und kratzte ihn ausführlich an allen Stellen, an denen er es gerne hatte.
„Du hast mich vermisst, nicht wahr?”, flüsterte sie in sein seidenweiches Ohr. „Sollen wir ausreiten? Das wäre schön. Warte noch, ich muss mich erst umziehen. Ich komme wieder.” Oberon verstand das leider nicht und war empört, als sie so schnell wieder ging. Sie beeilte sich und preschte kurz danach in Richtung Schwarzwald.
Wie immer half ein guter Galopp, die schlechten Gedanken hinter sich zu lassen und den Kopf freizubekommen. Oberon war seine nervöse Energie schnell losgeworden und bewegte sich herrlich weich und kraftvoll unter ihr. Annabelle atmete den Geruch des Waldes ein, so wunderbar erdig, Tannennadeln, Moos und einen Hauch Pilze. An einer Stelle, von der aus man Baden-Baden überschauen konnte, hielt sie an und stieg ab. Hier hatte sie schon einmal gestanden, damals hatte sie eine schwere Entscheidung zu treffen gehabt. Sie hatte Pauls Eltern kennengelernt, und die sie. Pauls Mutter hatte ihre Andersartigkeit heftig abgelehnt und sie beschimpft. Annabelle wäre damals gerne weggeritten, weit weg, weg von allem, aber sie hatte sich an Pauls Liebe erinnert und beschlossen, es zu wagen, erwachsen zu werden und sich den Problemen zu stellen. Sie hatte es gewagt, aber leider war alles trotzdem ganz anders gekommen, als sie gehofft hatte. Jetzt stand sie wieder hier, und wieder fühlte sie Entscheidungen wie eine Last auf ihrer Brust.
Sie lehnte sich an einen Baum und sah auf die Stadt, auf alle diese Häuser und in allen wohnten Menschen, die alle ihren eigenen Kosmos an Problemen hatten, die wütend,
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