Aetherresonanz (Aetherwelt) (German Edition)
traurig, oder glücklich waren. Die liebten und geliebt wurden, mit allen Schwierigkeiten. Jeder kämpfte täglich um seine Träume, und manchmal auch einfach nur um eine menschenwürdige Existenz.
Oberon knabberte die grünen Spitzen der Tannenzweige ab. Annabelle sah ihm dabei zu und wie so oft beneidet sie ihn um die Einfachheit seiner Existenz. Er dachte nicht über Zukunft oder Vergangenheit nach, er trug ihr nichts nach, wenn sie den Stall betrat, dann freute er sich jedes Mal, egal, wie lange sie ihn vernachlässigt hatte. Er machte es ihr leicht, sie zu lieben. Vielleicht machte sie es sich auch bei Paul selbst schwer. Sie brauchten nur ein wenig Ruhe, dann würde sich alles klären. Er hatte sie doch nicht aus Valentins Gewalt gerettet, um sie jetzt zu verlassen? Verdammt, sie musste sich zusammenreißen, sie musste Paul Zeit geben, selbst Entscheidungen treffen, und: Ja, heiraten, ein Leben ohne Paul kam nicht in Frage!
Oberons Kopf schnellte nach oben und seine Ohren waren gespitzt, er lauschte. Jetzt vernahm auch sie ein Geräusch: Jemand kam des Wegs, man hört Hufe. Ein Pferd wurde sichtbar: Es leuchtete wie Feuer, sein Fell und die Mähne waren rot wie das eines Fuchses, es trug den Kopf hoch, die Augen leuchteten und die Ohren waren neugierig nach vorne gedreht. Ein wundervolles Tier, auf eine schlankere Art kraftvoll als Oberon, aber auch voller versammelter Energie. Was Annabelle aber am meisten überraschte, war der Reiter: Es war Paul!
„Wusste ich doch, dass du hier bist”, rief er und sprang aus dem Sattel.
Oberon wieherte tief unten aus seinem Bauch heraus und näherte sich dem anderen Pferd mit langem Hals. Annabelle war irritiert und sah nach: Es war tatsächlich eine Stute. Die ließ sich hoheitsvoll von ihrem Wallach beschnobern.
„Was …?”, fragte sie verwirrt.
„Ich hab sie gerade abgeholt”, erklärte Paul und klopfte der Stute den Hals. „Ich wollte dich eigentlich zu einem Ausritt einladen, aber du hattest die Idee ja schon von allein.” Paul grinste sehr selbstzufrieden.
Annabelle gestikulierte zu dem Pferd: „Warum …?”
Paul betrachtete die Fuchsstute stolz: „Ich hatte es satt, das Pferd deines Vaters zu reiten. Nichts gegen Titania, aber mit Athene wird es mir hoffentlich endlich gelingen, euch zu überholen.”
Annabelle war sprachlos. Paul machte den Zügel an einem Ast fest, kam auf sie zu und zog sie in seinen Arm.
„Immer läufst du weg und ich muss dich suchen”, sagte er leise. „Zum Glück habe ich dich noch jedesmal wieder gefunden. Du solltest lernen, auf mich zu warten, damit wir zusammen laufen können.”
Er küsste sie und Annabelle genoss es rückhaltlos. Er war da, er war gekommen, alles würde gut.
„Ich habe aber nicht vor, zu warten, bis vielleicht ein noch perfekterer Zeitpunkt gekommen ist”, flüsterte Paul dann. „Du wolltest einen richtigen Antrag, und den sollst du bekommen.” Er ließ sie los und trat einen Schritt zurück. Annabelle sah ungläubig, wie er eine Schatulle öffnete, darin war ein weißgoldener Ring, der vorne winzige Maiglöckchen zeigte.
Dann kniete er sich nieder: „Ich frage dich also jetzt: Willst du mich heiraten.”
Es gab keine andere Antwort: „Ja, natürlich.” Annabelle schluckte und nickte.
Pauls braune Augen betrachteten sie zufrieden. „Gut. Dann brauche ich ja den Termin nicht mehr abzusagen.”
Sie sah von dem Ring zu seinen Augen, die im Gegensatz zu ihren vollkommen furchtlos waren: „Welchen Termin?”
„Ich war eben noch auf dem Standesamt und sie hätten da am 15. Mai noch etwas frei. Ich hoffe, das passt dir, denn ich warte dann dort auf dich.” Er stand auf, schob ihr den Ring auf den Finger und sah sie erwartungsvoll an. Sie war schon wieder sprachlos, dann nickte sie einfach.
Paul nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie lang.
„Wundervoll”, flüsterte er in ihr Ohr, während er daran herumknabberte. „Ich kann es kaum erwarten.”
Während Annabelle endlich zuließ, dass der Knoten in ihrem Inneren langsam aufging und sich dieses wundervoll warme Gefühl überall ausbreiten konnte, lernten sich auch ihre Pferde kennen und beknabberten sich genauso ausführlich wie ihre Besitzer.
Irgendwann sah Annabelle zu Athene. Was verwunderte sie so? Es wurde ihr klar, dass sie, wie viele Menschen, dazu neigte, Paul zu unterschätzen. Ihre eigene Unsicherheit hatte dazu geführt, dass sie dachte, er wäre das auch. Aber er war es nicht. Er hatte einen Plan, und er
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