Affaere im Paradies
späten Vormittag ruhig. Reporter kamen oder gingen, aber die meisten hatten bereits das Haus verlassen oder saßen an ihren Schreibtischen. Laurel winkte einem Kollegen flüchtig zu, der mit einem Imbiss aus dem Automaten an ihr vorübereilte, und fing an, ihren Leitartikel auszuarbeiten.
In Gedanken versunken wandte sie sich der Lokalredaktion zu und stieß mit einer anderen Frau zusammen. Der Inhalt ihrer Handtasche fiel in alle Richtungen auf den Boden.
»Verdammt!« Ohne hochzusehen, bückte Laurel sich und fing an, die Sachen zusammenzusuchen. »Es tut mir Leid, ich habe nicht aufgepasst.«
»Das macht nichts.«
Laurel sah eine sehr schmale Hand nach einem Briefumschlag greifen. Diese Hand zitterte stark. Beunruhigt blickte sie auf die bleiche Blondine mit dem hübschen Gesicht und den rot geränderten Augen. Ihre Lippen zitterten so stark wie ihre Hände.
»Habe ich Ihnen wehgetan?« Instinktiv ergriff Laurel die Hände der Frau. Sie hatte es noch nie gekonnt, jemanden mit Problemen abzuweisen.
Die Frau öffnete den Mund, schloss ihn dann wieder und schüttelte heftig den Kopf. Die Finger in Laurels Hand zitterten hilflos. Als ihr die ersten Tränen über das blasse Gesicht rollten, vergaß Laurel den Krach und die Umgebung und ihre Notizen, die sie in ihrem Buch in der Handtasche hatte. Sie half der Frau hoch und brachte sie durch den Wirrwarr der Schreibtische in das verglaste Büro des Lokalredakteurs.
»Setzen Sie sich«, forderte sie die Blondine auf und zwang sie in einen verschlissenen Ledersessel. »Ich werde Ihnen etwas Wasser holen.« Ohne auf ihre Zustimmung zu warten, verließ Laurel wieder den Raum. Als sie zurückkam, sah sie, dass die Frau zu weinen aufgehört hatte, aber ihr Gesicht hatte den verwundeten, verwirrten Ausdruck nicht verloren. »Bitte, nehmen Sie einen Schluck.« Sie reichte ihr den Plastikbecher, setzte sich auf die Armlehne des Sessels und wartete.
Der gedämpfte Lärm der Aktivitäten im Redaktionsraum drang bis in das Büro. Es war noch zu früh, als dass überall Verzweiflung herrschte. Die Panik vorm Redaktionsschluss war noch Stunden entfernt. Nur die Blondine bemühte sich verzweifelt, ihren Atem unter Kontrolle zu bringen. Hunderte von Fragen schossen Laurel durch den Kopf, aber sie ließ der Frau Zeit.
»Es tut mir Leid.« Sie zerknüllte den leer getrunkenen Plastikbecher in der Hand, ehe sie zu Laurel hochsah. »Im Allgemeinen lasse ich mich nicht so gehen.«
»Das ist schon in Ordnung.« Laurel bemerkte, wie die Frau den Becher langsam und systematisch in kleine Stücke zerriss. »Ich bin Laurel Armand.«
»Susan Fisher.« Ausdruckslos blickte sie auf die Schnitzel in ihrem Schoß.
»Kann ich Ihnen helfen, Susan?«
Beinahe hätte sie nun wieder zu weinen angefangen. Warum führten solch einfache Worte dazu, ihr wieder das Gefühl der Hilflosigkeit zu geben? »Ich weiß nicht, warum ich hergekommen bin«, begann Susan stammelnd. »Mir war nichts anderes eingefallen. Die Polizei …«
Laurel geriet in Widerspruch zwischen ihrer Spürnase als Reporterin und ihren Beschützerinstinkten. Beide waren viel zu selbstverständlich für sie, als dass sie ihr selbst bewusst geworden wären. Sie legte eine Hand auf Susans Schulter. »Ich arbeite hier. Sie können sich bei mir aussprechen. Worum geht es denn?«
Susan starrte zu ihr hoch. Sie wusste nicht mehr, wem sie vertrauen konnte oder ob Vertrauen ein Wort war, dem sie glauben konnte. Diese Frau sah so vertrauenserweckend aus, so selbstsicher. Ihr Leben war nie durcheinander geraten. Warum sollte diese lebensfrohe Frau mit dem sicheren Auftreten ihr zuhören – oder ihr glauben?
Susans Augen waren sanft und blau, hell und verwundbar. Laurel wusste nicht, warum sie sie an Matthew erinnerten, an einen Mann, von dem sie überzeugt war, dass er überhaupt kein Feingefühl hatte, und doch taten sie es. Sie legte ihre Hand über Susans. »Ich will Ihnen helfen, wenn ich es kann.«
»Meine Schwester.« Die Worte brachen aus ihr heraus, dann hielt sie abrupt inne. Susan schluckte mühevoll und fing wieder an. »Meine Schwester Anne hat vor einem Jahr Louis Trulane kennen gelernt.«
Louis? schoss es Laurel durch den Kopf und ihre Hand verkrampfte sich plötzlich über Susans Fingern. Bittersüße Erinnerungen, Zugehörigkeitsgefühl, wachsende Qualen. Was mochte diese verschreckte, in Tränen aufgelöste Frau mit Louis zu schaffen haben? »Reden Sie weiter«, gelang es ihr zu sagen, und ihr Handgriff lockerte sich
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