Affinity Bridge
Der Mann hatte sich doch gewiss nicht in den
Fluss gestürzt. Im Wasser war er jedenfalls nirgends zu entdecken, und weit und
breit war kein Boot auszumachen, in das er hätte springen können. Andererseits
war Chapman bei diesem schlechten Wetter vielleicht sogar schon ertrunken,
falls er wirklich ins Wasser gefallen war.
Als er hinter sich ein Scharren hörte, drehte Newbury sich mit
gesträubten Nackenhaaren um. Veronica kam gerade zur Tür heraus. Er zuckte, an
sie gewandt, kurz mit den Achseln, doch da er wegen des Windes und des Regens
den Kopf eingezogen hatte, war die Geste kaum zu erkennen. Wieder blickte er
am Gebäude entlang und versuchte herauszufinden, wohin der Mann sich abgesetzt
hatte. Erst jetzt bemerkte er die gusseiserne Leiter, die gleich links neben
dem Ausgang hinter einem Ablaufrohr an die Mauer geschraubt war. Er blickte
hoch, um zu erkennen, wohin sie führte. Anscheinend konnte man über die Leiter
auf das Gebäude steigen, denn sie verschwand dort oben hinter der Dachkante.
Tatsächlich kletterte Joseph Chapman eilig die feuchten
Eisensprossen hinauf zum Dach, wo, wie Newbury jetzt auch erkannte, mehrere neu
erbaute Luftschiffe warteten. Offensichtlich gedachte der Fabrikant mit einem
von ihnen zu fliehen. Den halben Weg bis zur Rettung hatte er schon geschafft.
Als der Flüchtige hinaufkletterte, beutelte ihn der Wind, und die Hände
rutschten auf den glatten Sprossen aus. Trotz aller Gefahren durfte Newbury
den Verbrecher nicht entkommen lassen. Wenn der Mann es bis zu einem Luftschiff
schaffte, konnte er binnen wenigen Stunden den Kontinent erreichen. Dort würde
sich seine Spur rasch verlieren, und er konnte sich in irgendwelche dunklen
Winkel des Empire zurückziehen oder sogar auf Nimmerwiedersehen nach Asien
entschwinden.
Newbury drehte sich zu Veronica um, die ihm durch den knatternden
Wind etwas zugerufen hatte. »Gehen Sie wieder rein, und warten Sie dort auf
mich.« Er deutete zur Tür, in der Bainbridges Silhouette zu erkennen war. Ohne
auf eine Antwort zu warten, sprang er zur untersten Leitersprosse hoch und
begann zu klettern.
Es war so gefährlich, wie er es sich vorgestellt hatte. Der Wind
zerrte an ihm, als sei ihm sehr daran gelegen, den Agenten von der Leiter zu
reiÃen. Vom Regen waren die Metallsprossen nass und glitschig, und die Tropfen
schlugen ihm unablässig wie Nadelstiche ins Gesicht, brannten in den Augen und
behinderten die Sicht. Nach wenigen Augenblicken war seine Kleidung durchnässt.
Schaudernd zog er sich weiter hoch und folgte Chapman die Leiter hinauf, so
rasch es der verletzte, schmerzende Körper zulassen wollte. Diese Seite der
Fabrik war ungeschützt der Witterung ausgesetzt. Newbury wollte sich gar nicht
erst ausmalen, was passieren konnte, wenn ihn der Wind tatsächlich
hinunterwarf. Höchstwahrscheinlich würde er auf dem Boden aufschlagen oder in
den Fluss geweht werden und dort ein nasses Grab finden.
Man konnte Chapman anmerken, dass er müde wurde, als er sich dem
Dach des Gebäudes näherte. Newbury verdrängte das Brennen in den geschundenen
Schultern und kämpfte sich weiter hoch. Langsam, aber sicher holte er auf, und
sein verletzter Körper durfte ihn nicht aufhalten.
Blinzelnd sah er zu, wie der Fabrikant die Dachkante erreichte, aufs
Dach hechtete und vorübergehend verschwand. Gleich darauf folgte Newbury seinem
Beispiel, sprang über das Ende der Leiter hinweg, schwenkte die Beine herum und
landete unsanft mit dem Hintern auf den Dachziegeln. Er war auÃer Atem und
schnaufte. Der Wind heulte zwischen den Schornsteinen, ein unübersichtliches
Gewirr von Seilen hielt die tanzenden Luftschiffe fest, die wie eine Ansammlung
glitzernder Wolken den Himmel ausfüllten. Newbury sah sich auf dem Dach nach
Chapman um. Der Fabrikant war höchstens zehn Schritte entfernt und bis auf die
Knochen durchnässt, die langen Haare klebten ihm im Gesicht. Soeben hatte er
das Halteseil eines Luftschiffs gelöst und ging eilig an Bord, kletterte die
kurze Holztreppe neben dem eisernen Anlegering hinauf und sprang in die Gondel
hinein. Er musste aufpassen, weil sich das Luftschiff im Wind gefährlich hin und
her wiegte.
Es war nicht klar, ob Chapman überhaupt bemerkt hatte, dass sein
Gegner ihn bis hierher verfolgt hatte, denn er bewegte sich beinahe lässig und
völlig sorglos. Newbury hoffte, den Mann gerade deshalb überrumpeln und zu Fall
bringen zu
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