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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Kopf.“
    Wenig später schwoll der Lärm wieder an. Über den Köpfen war eine blendendweiße Leuchtkugel aufgeflammt. „Verdammt, welcher hirnverbrannte Idiot ist das?“ fluchte der Oberleutnant. „Ich bring den verdammten Narren eigenhändig um!“ Leichter Rauchnebel stieg vom Talgrund über die Berghänge auf; im grellen Schein der Leuchtkugel sah es aus wie starker Schneefall, und die Schluchten wirkten wie Skipisten. Corporal Noah Nymiah warf sich zu Boden. Keine drei Sekunden vergingen, da jaulten schon die Maschinen über die Einschlagstelle der ersten Salve hinweg. „Jetzt lösen sie aus“, rief Nymiah, presste sich, als sie kreischend hochzogen, mit dem ganzen Körper in die vertiefte Erdspalte. In der von ihm gekratzten Mulde lag die Journalistin und hatte die Kamera vor ihrem Gesicht aufgebaut. Wenige hundert Meter vor ihnen, jenseits der buschbewachsenen Kuppe, schlug die zweite Garbe ein. Anica hob den Kopf, und als wollte ihr die Leuchtkugel gebieten, sich dieses Bild für alle Zeit einzuprägen, brannte sie noch einen Augenblick, zog am Himmel eine kurze Bahn, um als Funke in der Tiefe zu verglimmen. Splitterfontänen spritzten auf und die Explosionswelle ließ alle Mann die Augenlider fest zusammenkneifen, während sie – schwächer als die vorhergehende – über die Männer hinwegfegte.
    Der Corporal hatte recht behalten. Er erhob sich ächzend und fluchend, rieb sich den feinen Staub aus dem Gesicht. Er war jetzt der gemeine Soldat, keineswegs Sherpa oder Aborigin. Auch der Oberleutnant war aufgesprungen und lief nach vorn, wo sein First-Sergeant mit einer Leuchtpistole hantierte. Der Vorgesetzte schlug sie ihm aus der Hand.
    „Wohl auch verrückt geworden, was?“ schnauzte er. „Willst du die Kerle noch mehr durcheinanderbringen?“
    Corporal Nymiah steckte sich grinsend eine Zigarette zwischen die Lippen. „Na, Gott sei Dank“, sagte er grimmig. „Der Boss ist wieder bei Verstand. Wollen Sie jetzt nicht doch eine?“ Er hielt Anica die zerknautschte Packung hin. Sie griff abwesend zu, schaute sich um. Die nackte Fläche war übersät mit Körpern, das Gebüsch der Kuppe brannte noch.
    „Noch mal Schwein gehabt“, sagte Nymiah und bot ihr Feuer.
„Aber die Verwundeten...“ Anica wurde erst jetzt bewusst, dass sie eine Zigarette in der zitternden Hand hielt, sie ließ sie achtlos fallen. „Man muss doch den Verletzten helfen...“
    „Na, na“, brummte Nymiah und sah sie vorsichtig an. „Haben Sie schon einmal gesehen, wie so eine Rakete einen zurichtet, Ma´am?“ Er machte eine Pause, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. „Bei einem Volltreffer ist dem nicht mehr zu helfen, und um die leichter Verwundeten kümmern sich die Ambulanzen.“
    Die Flieger hatten sich entfernt. Die Meldung über das Bombardement hatte den Kommandostab in helle Aufregung versetzt, im Gefechtsstand herrschte heillose Verwirrung über das „friendly fire“. Immerhin war es gelungen, jede weitere Operation der Air Force zu verhindern. Noch in der Luft berichteten die Piloten übereinstimmend, dass sie die erste Salve in genau dem vorgeschriebenen Abstand der vom Helikopter lokalisierten Leuchtkugel ausgelöst hatten. Der vom Kommandeur beauftragte Stabsoffizier, der herausfinden sollte, wer den Leuchtkörper abgefeuert hatte, konnte den Schützen nicht ermitteln. Die zweite Salve hatte dann nur mehr kleinere Verluste gebracht und die Nachzügler und die Ängstlichen unter den Soldaten erwischt. Der Oberleutnant konnte schließlich den Rest seines Zuges sammeln. Mehrere Stunden verbrachten die Männer damit, die Versehrten über die kahle Fläche und um die Buschkuppen herum zum Sanitätszelt zu schleppen. Schüsse fielen nicht mehr. Hubschrauber schwebten mit Ärzten aus Kisljak herein, brachten Leichenkommandos mit. Der Zug des Oberleutnants hatte die Hälfte des Mannschaftsbestandes eingebüßt. Von einem Transporthubschrauber wurde eine Palette Plastsäcke aus schwarzer, dicker Folie herangeschafft für die Gefallenen samt ihrer Habseligkeiten, die ihnen zum Teil aus den Taschen gerutscht waren: kleine Stofftiere, Bildermedaillons ihrer Freundinnen und ähnliches, aber auch Fotos mit abgelichteten Kriegsgräueln, an denen sie sich selbst beteiligt hatten. Die Aufnahmen wurden diskret aussortiert und auf der Stelle verbrannt. Nachdem die Rotoren zum Stillstand gekommen waren, kehrte Ruhe ein. Die nackte, felsige Ebene schwieg wie zuvor, stumm ragten die flachen, halben Kugeln der Buschkuppen

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