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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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beiseitegelegt und die Kamera gegriffen hatte, schlug eine Serie Werfergranaten schmetternd auf der freien Fläche ein. Niemand hatte bei dem Turbinenlärm der landenden Maschinen die Abschüsse hören können. Hohe Steinfontänen standen plötzlich wieder wie Spukgestalten unter der schon tief stehenden Sonne vor dem Gebirgsmassiv. Der Oberleutnant, der schon im Laufschritt den Hubschraubern entgegengestürmt war, ließ sich zu Boden fallen, robbte zurück auf die Buschkuppe zu. Die folgende Garbe prasselte zwischen den Helikoptern nieder. Die Leitlibelle, bereits am Boden, fing Feuer und brannte schnell lichterloh, die zweite wurde von der Druckwelle seitlich emporgeschleudert, sackte schwerfällig zur Erde. Einem Flieger gelang es, herauszuspringen, und ohne zu zögern rannte er auf das Buschwerk zu. Er schaffte es, hechtete in einen Wacholderstrauch. Die dritte Libelle versuchte, wieder Höhe zu gewinnen, schwebte eine Weile taumelnd über dem Unglücksort, bevor sie, im Rückwärtsflug eine Schleife schräg nach oben ziehend, auf den im Taleinschnitt untergehenden Sonnenball zuflog. Bald sah es so aus, als säße ein sirrendes Rieseninsekt auf dem dunkelrot glühenden Stern.
„Los, Mädchen!“ schrie Nymiah. „Grab um dein Leben!“
    Er kauerte auf den Knien in der Vertiefung, schwitzend, fiebernd hackte er auf das festgebackene Erdreich ein. Anica sprang zu ihm, schwang ihrerseits den Spaten, half, das Loch zu vertiefen. Sie schufteten Rücken an Rücken, während sich das Granatfeuer verstärkte. Die zweite Libellenkette tauchte in einiger Entfernung auf, doch verharrten die Maschinen in etlichen hundert Metern Höhe. Die Soldaten warfen ihnen wutentbrannte Blicke zu, obgleich jedermann sah, dass es ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen wäre, jetzt auch nur eine Maschine landen zu lassen. Die Gesteinskaskaden der detonierenden Werfergranaten lagen dicht bei dicht.
Anica klammerte sich an dem kräftigen Wurzelstock einer Krüppelkiefer fest. Eng angeschmiegt mit ihrer Brust, kam es ihr so vor, als könne sie den Herzschlag des Baumes vernehmen, den Saft in seinen Adern pulsieren hören. Die Angst schlägt die Trommel in seinem Holz, dachte sie, wir sind zwei bange, zitternde Bäumchen, zwei vor Schrecken erstarrte Lebewesen, die angstvoll aneinander Halt suchen. Nur muss der Baum an seinem Platz stehen bleiben, bis die Granate ihn trifft. Ich kann nur hoffen, dass ihm nichts geschieht, er kann nicht wie ich seine Beine in die Hand nehmen. Tröstlich, dass ich ein Mensch bin und keine Kiefer, ich könnte zumindest davonlaufen.
Allerdings zitterte sie an allen Gliedern und merkte, dass sie ihr beim besten Willen nicht mehr gehorchten. Den Spaten konnte sie längst nicht mehr halten. Sie presste sich an den Boden, das Gesicht auf die Hände und wurde von einem heftigen Schluchzer geschüttelt. Sie hatte grenzenlose Angst, jede Kugel könnte ihr gelten, jede Granate wolle sie in der Luft zerreißen.
„Ganz ruhig bleiben“, sagte Nymiah besänftigend, tröstend. „Sie müssen einfach daran denken, dass Sie die Kugel, die Sie trifft, gar nicht mehr hören. Mich kann die Granate, die neben mir einschlägt, nicht erschrecken, weil ich zerfetzt sein werde, bevor ich Zeit finde, Angst zu haben. Wozu also Angst? Wenn ich alles, was mich trifft, nicht hören kann, dann kann alles, was ich höre, mich nicht treffen.“
    Anicas Augenbrauen hoben sich, legten die Stirn in Falten. Seine altklugen Worte sollten ihr Mut, ein wenig Kraft geben. Gleichwohl fuhr sie unwillkürlich zusammen bei jedem Kracher.
    Der Offizier brüllte ins Walky-Talky, gab auf, als sich niemand meldete, drückte sich tiefer in die Bodenwelle neben die Journalistin.
    „Aus“, sagte er zu ihr, und es klang mehr als niedergeschlagen. „Bevor die Granatwerfer nicht zerschlagen sind, können sie nicht landen.“
    „Darüber wird es Nacht“, meinte der Corporal. Die Granatierung setzte unvermittelt aus, nur mehr einzelne, wenn auch stetige Abschüsse waren in Halbminutenabständen zu hören, verstummten schließlich ganz, als die Helligkeit vollständig aus dem Talgrund gewichen war. In die anhaltende Stille hinein begann Nymiah eine Melodie zu summen, sang dann verhalten, gleichwohl für jedermann hörbar:
    „Von all unseren Kameraden
    Ist keiner so lieb und so gut
    Als unser kleiner Trompeter,
    Ein fideles Draufgängerblut.
    Wir saßen recht fröhlich beisammen
    In einer sehr stürmischen Nacht.
    Mit seinen traumhaften Liedern
    Hat er uns das

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