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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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bewusst, dass das, was sie sah, nichts anderes war als ein Auge von ihr, reflektiert und vergrößert durch das Sanduhrglas, hinter dem Erde und Gras eine Art Folie bildeten wie hinter einem Spiegel.
    Die Reporterin drehte sich auf den Rücken, horchte dem feinen, weit entfernten Surren entgegen, das sie geweckt hatte. Ihr Blick klomm durch einen Buschzweig in den wolkenlosen Himmel. Die weißen Schürfspuren der Jetturbinen waren nur mit zusammengekniffenen Augen durch die Wimpern und die lanzettförmigen Blattränder zu erkennen, ein magisches Kaleidoskop aus reizsamen Sonnenstrahlen, feingeädertem Chlorophyll und den bizarren Mikrobengebilden, die in ihrer Augenflüssigkeit schwammen.

43 Der Kämpfer im Wacholder
     
    Der Oberleutnant robbte mit brennender Zigarette im Mundwinkel voran. Jetzt rechnete er nicht mehr damit, auf den Gegner zu treffen. Wieder mal haben sie uns ins Leere stoßen lassen, dachte er. Wütend spuckte er am Zigarettenfilter vorbei aus, hörte kaum den dumpfen Knall hinter sich und den Echohall jenseits der Kahlfläche.
    „Was ist das?“ fragte die Journalistin. Schweißgebadet war sie jäh aufgeschreckt.
    „Nichts“, antwortete der Offizier. „Höchstens der vereinzelte Schuss eines nervös gewordenen Aufklärers oder Melders.“
    Der Knall hatte alle veranlasst, duckend die Köpfe einzuziehen, und auch deshalb konnten sie nicht sehen, dass über dem Gelände, das sie unmittelbar vorher durchquert hatten, zwischen Erde und Beobachtungshelikopter eine gelbliche Leuchtkugel allmählich verglühte und sich in ein Rauchfähnchen auflöste. Sie war mitten aus einer der Kuppen aufgestiegen, und der Mann, der sie abgeschossen hatte, war sehr jung und trug die Sommeruniform der serbischen Armee. Nachdem er den Leuchtkörper abgefeuert hatte, kroch er wieder in die Mulde zwischen dichtem Gebüsch aus Stachelranken und verwelkenden Wacholderblüten.
    Der balkanische Wacholder war der berüchtigte Strauch, der auch den Amerikanern nur allzu bekannt war als zeckenverseuchte Pflanze, die es zu meiden galt, wollte man sich nicht hirnhautschädigende Bisse der Plagegeister einfangen. Zudem entzündeten sich meist die betroffenen Hautstellen und schwollen an. Heftigem Juckreiz folgte unerträgliches Brennen, die gerötete Haut brach auf und eitert, löste womöglich eine wochenlange kräftezehrende Fieberperiode aus. Jeder Soldat kannte den Tagesbefehl, der ausdrücklich vor dem Strauch warnte und gebot, ihm auszuweichen.
    Der Serbe, der unter die bedrohliche Pflanze gekrochen war, verstand sich auf die Kunst, auch die Kräfte von Mutter Erde-Natur für den Partisanenkampf nutzbar zu machen. Er wusste, wie man aus dem Verhalten der Tiere auf die Bewegungen des Feindes schloss, konnte Fallen in den Felsspalten mittels Gesteinsplatten anlegen sowie Stechmücken anlocken, einen Ameisenzug auf gegnerische Feldlager umleiten, Skorpione schnurgerade in ihre Zelte führen und stechwütige Hornissen auf ihre Patrouillen loslassen. Er hatte die Verstecke für sich und seine Kameraden in diesem Gebiet sorgsam ausgesucht, sie waren nach seinen Weisungen angelegt und getarnt worden. Eine der Eisenstangen der Pioniere war zwischen seiner Brust und dem rechten Oberarm mit dem Wolfsemblem in den Felsgrund gestoßen, und die Spitze hatte die Jacke seines Kampfanzugs zerrissen, seiner Lende eine lange Schramme beigefügt. Sie behinderte ihn nicht, und nun lag er wieder in der Höhlung unter dem Wacholderstrauch, wartete, gedachte des Feindes und lächelte dabei. Vierzig Grad im Schatten, und sie hatten eisigen Frost im Herzen.

44 Ein heißer Kriegstanz
     
    Die Turboprops erschienen prompt auf das Signal hin, das der Beobachtungshelikopter ihnen gemeldet hatte: Die gelbe Leuchtkugel, die unter ihnen aufgestiegen war, hatte ihrer Aufmerksamkeit nicht entgehen können. Und die Flieger waren froh, dass das zermürbende Warten beendet war und die Operation endlich starten konnte. Mehr als zwei Stunden waren sie bereits in der Luft, und wenn sie jetzt ihre Raketen abfeuerten, konnten sie ihre Maschinen umgehend nach Split zurücksteuern und im Kantinencontainer gekühltes Bier schlürfen.
    In neun Ketten zu je drei Maschinen jagten sie über den Rand des Talkessels, auf der nackten Ebene vor dem Fluss war nichts von Bedeutung zu entdecken, also musste der Feind in dem dahinterliegenden Gelände stecken, das gesprenkelt war von den mit Wacholderbüschen bewachsenen Kuppen. Offensichtlich hinderte der Gegner die eigenen

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