Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
geschenkt hatte. Sie bestand aus zwei kleinen mundgeblasenen Glaskugeln in einem filigranen, grauweißlichen Elfenbeingerüst vom Mammut, verbunden durch eine winzige Öffnung für den Durchlass des feinen, silbrig-türkisfarbenen Sandes. Die Körnchen hatten die ätherische Farbe der Zeit. In menschlicher Zeitrechnung dauerte es fünf Minuten, bis der Sand von einer Kugel in die andere gerieselt war. Dragan hatte sie ihr überreicht mit den Worten: „Zeit spielt keine Rolle, immer fließt meine Liebe zu dir wie diese Sandkörnchen, wenn du die Kugeln umdrehst. Zweifelst du einmal an meiner Liebe, zeigt dir der fließende Sand, dass ich dich liebe für alle Zeit.“ Ein kaum merkliches Lächeln trat in ihre Züge, Glanz in ihre Augen.
Auf der Straße heulte der Motor des Panzers auf. Die Pilotin war in das weißlackierte Fahrzeug gesprungen, es schoss davon, noch ehe die fensterlose Tür zugeschlagen war. Burkhart winkte hinterher. Wie sehr er sich verändert hat, dachte Anica. Von dem abenteuerlustigen Burschen, der vor einigen Jahren seinen Juristenjob an den Nagel gehängt und sich an den Hals der amerikanischen Helikopterpilotin geworfen hatte, war ein Hausmann übriggeblieben.
„Und ich glaubte, hier endlich einmal etwas über das Mysterium eines echten südländischen Draufgängers zu erfahren“, beklagte sich der Diplomatengatte. Anica zuckte die Achseln. Du lieber mein Vater, dachte sie, da hat einer Sehnsucht nach dem geheimnisumwitterten hemingwayschen Mythos. Er fixierte sie mit einem gönnerhaften Blick. „Trotzdem würde ich mich gerne öfter mit Ihnen unterhalten. Über alles Mögliche. Wenn Sie mal Zeit haben.“ Er zog eine goldene Visitenkarte aus der Brusttasche seines Jacketts. Anica steckte sie lächelnd in die Handtasche. „Werden Sie mich anrufen?“
„Ich weiß es nicht – wann. Bei Gelegenheit. Aber ich nehme es mir vor.“
9 Partyöde
Burkhart blickte grinsend zu den beiden herüber und verschwand in der Küche, um Orangenscheiben für die Cocktails zu schneiden. Er öffnete die Besteckschublade und rief ins Wohnzimmer hinüber: „Anica, bist du so lieb! Ich benötige deinen hausfraulichen Beistand.“
Als sie unter der Tür erschien, hielt er ihr Apfelsine und Schälmesser hin. Sie sah, dass er das Gesicht verzog.
„Chancen?“ fragte er.
„Was meinst du, Burkhart?“
„Er hat dir seine goldene Karte gegeben.“
„Das hast du gesehen?“
Er schüttelte den Kopf. „Doch würde es mich sehr wundern, hätte er es nicht getan.“
„Du redest in Orakeln.“ Sie hob die Augenbrauen.
„Du kleines Dummerchen, saudumm´s“, entgegnete er mundartlich, gemütlich. „Nun ja, ihr Frauen habt ein Talent, gerade das nicht bemerken zu wollen, was man von euch möchte.“
„Und was, bitte schön?“
„Dasselbe wie von einem guten Dutzend anderer Frauen, denen er seine Karten angedreht hat, seit er hier ist.“
Anica schnitt routiniert Orangen in Scheiben. „Und du willst mir weismachen, dass tatsächlich jemand dieser Einladung gefolgt ist? Was sagt denn seine Gattin dazu?“
„Sie ist eine vielbeschäftigte Frau“, antwortete er. „Sie hat die letzte gar nicht bemerkt. Es heißt, sie selbst hat einen Aufklärungsoffizier einer französischen Antiterroreinheit.“
„Ein Bosniake als Fremdenlegionär?“
„Kroatischer Freischärler in der Herzegowina. Wehrkunde in der Praxis oder Husarenritt ohne...“
„Du bist ja abscheulich“, unterbrach sie ihn kopfschüttelnd. „Richtig geschmacklos! Und dein Geschlechtsgenosse will mich über das Liebesleben von Haudegen im Allgemeinen und Einheimischen im Besonderen aushorchen.“
„Mach dir nichts draus“, feixte er. „Man hat es schwer. Bei diesem emanzipierten Frauenzimmer von Gemahlin...“
„Heiliger Bimbam!“ stöhnte Anica. „Bin ich in ein Vermittlungsinstitut für vernachlässigte Bleichgesichter geraten oder in eine Dinnergesellschaft?“
„Supper“, verbesserte Burkhart, goss gepressten Orangensaft in eine Karaffe. „Doch ab sofort ist es eine Trinkgesellschaft. Gib mir eine Flasche Krimsekt aus dem Kühlfach.“
Anica wischte sich die Hände ab, reichte die Flasche über den Küchentisch. Während er sie entkorkte, sagte er in ernstem Ton: „Ich habe die Kamensieks deinetwegen eingeladen. Ich denke, es könnte dir nützlich sein, sie zu kennen. Sie, die Frau. Sie hat die Hosen an sowie die Fäden in der Hand, die sie vielleicht für dich einmal ziehen kann, wenn du es nötig brauchst. Weißt
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