Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
du eigentlich, was sie ist?“
„Subalterne Diplomatenangestellte.“
Er lachte höhnisch. „Denkste! Sie ist im Rang eines Oberst im medizinischen Führungsstab der Bundeswehr, Fachrichtung: Psychologie. Zurzeit schreibt sie an dem Buch: `Bürgerkrieg in der Sezession´. Wirklich!“
„Na und?“
„Sie war vorher beim Verfassungsschutz. Lass dich nicht durch ihr Auftreten täuschen. Sie kommt einem vor wie eine nicht zu Ende gemachte Tanzschülerin mit Fachabitur. Das ist sie jedoch keineswegs, sondern schon ein hohes Tier.“
„Da soll sie darauf Acht geben, dass keine alten Mauern wieder hochgezogen werden“, versetzte Anica in gleichgültigem Tonfall. „Das interessiert mich nicht die Bohne, Burky.“
Er sah sie mitleidig an. „Vergiss nicht, dass ich einmal sehr genau wusste, was dich interessiert, Anica.“ Er hielt ihr ein Glas zum Probieren hin.
Nach dem ersten Schluck sagte sie: „Ich weiß gar nicht, was du damit sagen willst.“
„Feines Stöffchen“, erklärte er. „Echt russisch.“
„Ukrainisch“, verbesserte sie ihn. „Wie der Name sagt: von der Krim.“
„Egal“, meinte er. „Ich weiß über deine Weltanschauung Bescheid. Und du weißt, dass ich sie nicht unbedingt teile. Aber ich respektiere sie wie ich dich respektiere. Ich will dir lediglich einen Gefallen erweisen. Das ist alles. Du brauchst mir nicht zu sagen, warum du hier bist, ich weiß es ohnehin. Ich werde zu niemandem darüber sprechen. Nicht einmal zu Mary-Jo.“
„Was glaubst du, warum ich hier bin, Burk?“
„Jedenfalls nicht als willfährige Kriegsberichterstatterin, weder der EU, noch der NATO oder auch der UNO“, erwiderte er lächelnd.
„Was hältst du denn von deren Truppenkontingenten hier?“
„Reden wir über was anderes. Ich werde mich glücklich schätzen, wenn Mary-Jo ihre Zeit hier hinter sich hat.“
Anica betrachtete gedankenvoll sein halbgeleertes Glas. Die Orangenschnitte glänzte in der klaren, perlenden Flüssigkeit. Als sie noch Tag für Tag in Berlin unterwegs war und Burkhart in der Staatsanwaltschaft volontierte, hatte sie angenommen, dass sich dieser junge, selbstbewusste Mann mit dem scharfen Intellekt eines Tages ihrer Lebensphilosophie anschließen würde. Jedoch war er nach kurzem, heftigen Flirt mit der militanten Linken von einem Tag auf den anderen desertiert und hatte sich Hals über Kopf in die Teilnehmerin einer politischen Veranstaltung verliebt: Die Hubschrauberpilotin Mary-Jo Hayward hatte nach der alljährlichen Alliiertenparade in West-Berlin die Einladung zu einer Podiumsdiskussion der Freien Universität angenommen.
Er ließ sein Glas gegen das ihre klirren, prostete ihr zu. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, was sie von Politik im allgemeinen und Machtausübung im besonderen hielt, und es gehörte für ihn nicht viel Phantasie dazu, sich auszurechnen, wem ihre Sympathie auf dem Balkan nicht galt. Anica hingegen war es eigentlich nie gelungen, Burkharts Charakter zu begreifen. Was brachte einen abenteuerlustigen Weltverbesserer dazu, eine Besatzungssoldatin aufzureißen? So hatte er sich mit eigenen Worten einmal ausgedrückt, ohne damit herauszurücken, was ihn aus dem Lande trieb. War er mit dem Leben in Deutschland nicht mehr fertig geworden? Wäre er den Verlockungen des polychromen amerikanischen Traums auch dann noch erlegen, wenn er ein wenig gewartet hätte, um die jähe Wende der Grenzöffnung und den Fall des Eisernen Vorhangs zu erleben? Oder hat ihn die Furcht vor dem dubiosen Milieu abgeschreckt, in dem Anica lebte, und die Aussicht auf eine wenig geachtete Existenz als zukünftiger Staatsanwalt verängstigt? Ihre Beziehung war von kurzer Dauer gewesen. War Liebe dabei im Spiel gewesen? Handelte es sich um eine Affäre, das übliche Abenteuer mit einer Vorgesetzten? Hatte er es aus der dicken Akte seiner Erinnerung gestrichen? Oder war da etwas zurückgekehrt? Was erwartete er von ihr?
Er trat dicht an sie heran und sagte, als hätte er ihre Gedanken gelesen: „Kommst du zu mir, spätestens an dem Tag, bevor du zu dieser Enklave Srebrenica gehst?“
„Ja, ja“, antwortete Anica rasch, unverbindlich. Irgendetwas in ihr widersetzte sich; den Kontakt zu Burkhart Ball hielt sie distanziert, aber aus dem Bewusstsein einer ehrlich gelebten, wenn auch ehemaligen Freundschaftsbeziehung. „Warum eigentlich?“
„Ich möchte, dass du mir einen Gefallen tust“, erwiderte er und fügte schnell ablenkend hinzu: „Denkst du noch manchmal an diesen
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