Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
Ihnen dieser Bescheid nicht übermittelt?“
Anica zuckte die Achseln. Srebrenica war seit März 1993, als der französische General Morillon das Städtchen besuchte und von der mehrheitlich muslimischen Bevölkerung festgehalten wurde, mit ein paar umliegenden Dörfern von der UNO zur `Safe Area´ erklärt worden. Die Einwohnerzahl stieg dann von 6000 auf etwa 40000. Es hieß, dass die UN-Schutzzone von etwa 450 leichtbewaffneten niederländischen Blauhelmen beaufsichtig wurde. Die Kanonen auf den sechsrädrigen Panzerfahrzeugen, die sie dabei hatten, waren speziell für die Mission in Srebrenica abmontiert und durch leichtere Maschinengewehre ersetzt worden. Es war schließlich eine Friedensmission. Anica seufzte, während sie sich ins Gedächtnis rief, was sie von Srebrenica wusste: Die niederländische UN-Truppe Dutchbat war seit Monaten in der Enklave eingeschlossen und zunehmend abgeschlossen von der Versorgung mit Munition, Benzin und Lebensmitteln. Die 450 niederländischen Soldaten waren den angreifenden serbischen Truppen sowohl quantitativ wie qualitativ hoffnungslos unterlegen. Blauhelme wurden als lebende Geiseln festgekettet an Objekte, die möglicherweise von NATO-Flugzeugen hätten bombardiert werden können.
Das Licht begann zu flackern. Sekunden später erlosch es völlig. Aus nicht allzu weiter Entfernung war das Grollen einer Explosion zu hören. Mrs. Hayward-Ball tastete sich im Schein der auf dem Tisch brennenden Kerzen ans Telefon. Ins Wohnzimmer zurückgekehrt, sagte die Pilotin in fast gleichmütigem Tonfall: „Bosnische Serben oder muslimanische Bosnier haben ein Umspannwerk an der Mice Sokolovica gesprengt. Es wird längere Zeit dauern, bis wir wieder Strom haben.“
„Schweinerei!“ Die Spark setzten wütende Gesichter auf.
Mary-Jo sah auf die Uhr. Sie leerte ihr Glas und ordnete wieder unnötigerweise die Frisur. „Viel Spaß noch, Kinder“, rief sie in die Runde ihrer Gäste. „Leider muss ich Schlag zehn in Brodska sein. Lasst euch durch mein Verschwinden nicht die Stimmung verderben.“
Burkhart half ihr in die Pilotenjacke und fragte besorgt: „Bist du sicher, dass du nicht zu viel getrunken hast, Mary-Jo?“
„Es war ja kaum Champagner dabei. Außerdem fliege ich ja nicht, Burky“, entgegnete sie. „Zwei Staffeln haben Sitzbereitschaft, wir übrigen liegen auf Pritschen und schlafen.“
„Hast du auch alles, was du brauchst?“
Sie nickte. „Kann dich leider nicht mitnehmen.“
„Du hast wirklich nichts vergessen?“
Mary-Jo drückte ihm flüchtig einen Kuss auf die Wange. „Wirf die Bande raus, wenn du genug hast, ja?“
„Sag mir noch eins, Mary-Jo, geh ich dir nicht auf die Nerven mit meiner Fragerei?“
Sie zuckte die Achseln, nickte knapp. „Du stellst dich an wie – ein Eheweib.“
„Dir genügt es vielleicht zu wissen, dass ich wohlauf bin. Mir ist das zu wenig. Ich will alles wissen: Wie du aussiehst, auch im Kampf, wie du sitzt, wie du gehst, was für eine Miene du machst, wenn du an mich denkst.“
„Ach was, dummes Zeug, Burky. Mach dir keine Gedanken. So long.“
Draußen hupte der sechsrädrige Panzerwagen, der die Pilotin abholte; Burkhart begleitete seine Frau bis vor die Tür, derweil man drinnen den politischen Disput wieder aufnahm. Kamensiek stand allein am Fenster und blickte hinaus auf den gepanzerten Kübeltransporter. Anica trat neben ihn und sah über seine Schulter. „Ungemütlicher Job, diese Fliegerei“, sagte sie. „Ein Glück, dass Serbien über keine schlagkräftige Luftwaffe verfügt.“
„Verfügen darf“, verbesserte Kamensiek, sich lächelnd umdrehend. Seine Metallzähne blitzten matt. „Wie ich höre, bringt das Flugwesen auch Ihnen gewisse Probleme. In diesem Falle die zivile Frachtfliegerei.“ Er hielt ihr ein silbernes Zigarettenetui hin, eine bosnische Filigranarbeit aus kunstvoll zu floraler Ornamentik ineinander verschlungenen Silberdrähten, die Rosen und Zypressen zu Sechsecken formiert darstellten.
Das ist das erste, was diese Sorte Männer im Ausland tun, dachte Anica, während sie mit einer Hand dankend abwehrte, mit der anderen eines dieser überdimensionierten Zündhölzer anrieb, ihm Feuer gab. Bevor sie sich im Straßenbild auskennen, ehe sie noch wissen, wie teuer ein Laib Brot ist oder was eine Flasche Wein kostet, kaufen sie einheimisches Kunstgewerbe wie Treibarbeiten aus Kupfer, Ledergeflechte und Silbergeschmeide. Ähnliches könnten sie genauso gut bei sich daheim erwerben, wo so ziemlich
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