African Angel - Mit 50 Cents die Welt veraendern
besonders viel Fisch in meine Schale gelegt. Sie verwöhnte mich über die Maßen, was ihre übrigen Enkel mit Gelassenheit hinnahmen, denn schließlich war ich krank. Dieses Mal aber zeigte ich mich von meiner besonders vorwitzigen Seite.
»Mal sehen, was es heute gibt«, sagte ich und untersuchte den Inhalt meines Tellerchens. Ich fand von jeder Sorte Fisch immer den besten Happen und wies die anderen Kinder stolz darauf hin: »Seht nur, was ich alles habe!« Da wurde Oma zornig.
»Bist du wohl still«, rief sie wütend, »du freches Gör?«
Aber ich dachte nicht daran.
»Und diese Muscheln … gleich drei Stück! Schaut nur, wie dick die sind …«
So ging das weiter, bis meine Oma die Suppenkelle nach mir warf. Da erst wurde mir bewusst, welchen Unterschied sie alle für mich machten und wie überaus taktlos ich mich verhalten hatte.
In Bukom habe ich gelernt, unter welch schwierigen Bedingungen manche Kinder heranwachsen und wie man als Erwachsener hier leben und täglich mit vielen Einschränkungen klarkommen muss. Zuhause hatten wir ganz selbstverständlich ein Badezimmer und eine Toilette. Im Slum mussten wir zur nächsten öffentlichen Toilette zuerst einen Fußweg zurücklegen und unterUmständen in einer langen Reihe darauf warten, dass wir drankamen. Zwischen den einzelnen Latrinen gibt es nach wie vor keine Trennwände, man hockt sich nebeneinander und findet das ganz normal. Auch private Duschen waren und sind in Bukom nicht zu finden. Öffentliche Waschbereiche, nach Männern und Frauen getrennt, sind heute noch üblich, auch ich habe sie an den Wochenenden gemeinsam mit meiner Oma besucht.
Niemals werde ich den Anblick der vielen Frauen in den Waschbereichen vergessen, wie sie geduldig warten, bis sie dran sind. Es gibt keine abgeschlossenen Duschkabinen, keine Haken oder eine andere Aufbewahrungsmöglichkeit für die Kleider. Kommen sie also an die Reihe, legen die Frauen das Tuch, das sie um sich geschlungen haben, auf ein paar Steinen ab und gehen nackt zum Duschen. Dieses Bild hat sich mir für immer eingeprägt: Mit welcher Würde es sich diese Frauen auch unter den schlimmsten Bedingungen nicht nehmen lassen, gründliche Morgentoilette zu betreiben, ihre Kinder von Kopf bis Fuß einzuseifen und ihre Kleider sorgfältig mit der Hand auszuwaschen.
Ich dagegen kam aus einer anderen Welt nach Bukom, hatte hübsche bunte Kleidchen an, Schuhe an den Füßen und zuhause jede Menge Spielzeug. Während die Nachbarskinder gar nichts besaßen. Wenn ich bei meiner Oma war, wo es bis heute für die ganze Familie nur ein einziges Bett gibt, schlief ich, die Prinzessin, nie auf dem Boden. Schließlich war ich krank.
Aber ich sah den Unterschied und machte mir viele Gedanken, über die ich damals nicht gesprochen habe. Vielleicht ahnte ich, was meine Mutter geantwortet hätte. Ihrer Meinung nach griff sie der armen Verwandtschaft in Bukom bereits mehr als genug unter die Arme. Meine Schwester Emily hatte für so etwas keinen Kopf und in Bukom sah man sie eh so gut wie nie.
Die jüngste Schwester meiner Mutter, Mama Patience, die mit uns in Adabraka wohnte und heute für das Kinderhaus von African Angel ein wahrer Engel ist, erzählte mir neulich ein paarGeschichten aus unserer gemeinsamen Kindheit. Anekdoten, die ich selbst ganz vergessen hatte: Schon immer ist es für mich das Schönste gewesen, Kleider, Spielzeug und Süßigkeiten mit den Kindern aus Bukom zu teilen. In einem kleinen Kinderkochtopf, den ich geschenkt bekommen hatte, kochte ich Suppe, von der alle etwas abbekamen. Wenn ich merkte, dass ein Mädchen kein Unterhöschen anhatte, nahm ich meine Ersparnisse und kaufte ihr welche.
Früh war mir offenbar bewusst, wo die Würde eines Menschen verletzt wird. Damals nahm ich mir etwas vor, das mittlerweile Realität geworden ist: Ich würde den Kindern aus Bukom helfen. Nicht nur Suppe verteilen und ein paar Kleider verschenken. Nein, ich würde sie dabei unterstützen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und zu meistern. Für mich stand fest: In Bukom musste sich etwas verändern. Ich weiß nicht mehr, wie alt ich damals gewesen bin. Dieser Plan reifte über viele Jahre in mir heran.
Die seltsame Krankheit, die mir immer wieder die Haut abzog und die Haare ausfallen ließ, verlor sich schließlich irgendwann. Ob und wie ich geheilt worden war, daran kann ich mich nicht erinnern. Was ich noch weiß: Das alte Leiden verschwand und machte Platz für ein neues, das sich zwar ganz anders
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