African Boogie
Buchmann machte einen Schritt vorwärts. Weitere Stühle wurden gerückt. Noch mehr Gäste wollten aufstehen.
Es war Harry, der die Situation rettete, bevor sich die Gästeschar in einen wütenden Lynchmob verwandelte. Er stellte sich schützend vor Döring und sagte mit freundlicher Strenge: »Setzen Sie sich! Wir haben die Situation unter Kontrolle. Und wir sorgen schon dafür, dass der Täter seine gerechte Strafe bekommt.«
Es dauerte einen Moment, aber die Gäste gehorchten. Katharina wollte aufatmen, doch plötzlich verlor Döring die Fassung: »Sind Sie von allen guten Geistern verlassen? Ich soll Gäste umgebracht haben?« Er wollte wütend aufstehen, doch Katharina hielt ihn zurück.
»Beruhigen Sie sich!«, sagte sie schnell, bevor sich der Mob wieder formieren konnte. »Auch Sie sind es nicht gewesen. Denn dann hätten Sie dafür gesorgt, dass wir schon längst einen Schuldigen gefunden hätten. Vielleicht hätten Sie ihn sogar selbst überführt. Momentan schwimmen Ihnen die Felle davon, wenn wir die Mordserie nicht endlich stoppen.«
»Ganz richtig.« Döring verschränkte finster die Arme.
»Sagen Sie uns nun den Täter, oder wollen Sie uns erst alle der Reihe nach verdächtigen wie in einem schlechten Krimi?«, fragte Darissa von Heuth genervt und ohne den Blick von ihren Notizen zu nehmen.
Katharina warf ihr einen bösen Blick zu, doch eigentlich war sie dankbar für die Überleitung.
»Richtig. Der Täter«, sagte sie. »Dazu komme ich gleich. Lassen Sie mich aber zunächst etwas erklären. Wie einige von Ihnen vielleicht wissen, ist jeder Mensch auf der Welt mit jedem anderen über maximal sieben Zwischenstationen verbunden –«
»Sechs«, korrigierte sie Studienrat Leune. »Es sind sechs Zwischenstationen.«
Katharina widerstand dem Drang, Leune für seine Streberei einen Schlag auf den Hinterkopf zu geben, und sprach weiter: »Sechs. Meinetwegen. – Wie Sie vielleicht schon bemerkt haben, kennen sich einige von Ihnen untereinander: Sie sind gemeinsam zur Schule gegangen, waren auf der gleichen Uni oder arbeiten zusammen. Das ist kein Zufall. Denn Sie alle sind über maximal einen weiteren Menschen verbunden. Den Täter!«
»Das ist doch eine Binsenweisheit«, unterbrach sie Darissa von Heuth erneut. Katharina ließ sich nicht beirren: »Ein bisschen Geduld noch. Bevor ich Ihnen den Täter nenne, lassen Sie mich Ihnen eine Geschichte erzählen.«
»Oh Gott, Märchenstunde auch noch.«
Wenn diese Regisseurin sie noch einmal unterbrach, würde Katharina sie rauswerfen lassen müssen. Aber der Reihe nach: »Es ist eine traurige Geschichte, und sie geht so: Es war einmal ein junger Mann. Er war künstlerisch begabt und vom Traum beseelt, ein großer Architekt zu werden.« Kristina hob unauffällig den Daumen. Sie war sehr stolz auf diese Passage gewesen. Andreas Amendt hatte sie jedoch bei der Generalprobe in Katharinas Bungalow als »Hedwig Kurz-Mahler goes Crime« bezeichnet.
»Doch leider, leider … Nicht immer geht Begabung mit Durchsetzungskraft einher. Unser junger Mann – er war immer schwächer als andere. Nicht so ansehnlich. Doch er war ein guter Mensch. Hilfsbereit. Liebevoll. Viel zu gutmütig. – Schon in der Schule …«, sie ging zum Tisch von Jean-Luc, »das Opfer der Bullys. Nicht wahr?«
»Isch weiß nischt, von wem sie spreschen.«
»Nun, dann werde ich es Ihnen sagen. Sie alle …«, Katharina richtete sich auf und ließ ihren Blick über die Gäste schweifen, »Sie alle sind ihm begegnet. Die meisten von Ihnen werden vergessen haben, wann und wo. Doch er hat Sie nicht vergessen. Und Sie auf seine Liste gesetzt.«
»Nun kommen Sie aber mal zu Potte. Das ist ja schlimmer als bei Hochhuth«, stöhnte Darissa von Heuth laut auf. »Wer ist es?«
Katharina zog die Augenbraue hoch und fixierte die Regisseurin. »Ich dachte, gerade Sie hätten es bereits erraten. Es ist Dirk Schröder.«
»Das Schaf?«, fragte der Rauschgoldengel arglos in die Stille hinein. »Der soll der Täter sein?«
»Ganz recht. Das Schaf. Aber dass er der Täter ist, habe ich nicht gesagt.«
»Wer da-hann?«, dehnte der Rauschgoldengel genervt ihre Frage.
»Nicht so voreilig. Sie alle sind ihm begegnet, nicht wahr? Haben ihn ausgenutzt. Sein Herz gebrochen. In der Schule. Im Studium. Und dann im Beruf. Zum Beispiel Jens Mandeibel – ein Bully und stolz darauf. Er hat sogar damit geprahlt, wie er in der Schule Kleinere in die Toilette getaucht hat.«
»Dirk ’ätte ja nisch immer
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