Afrika im Doppelpack: Vater und Sohn mit dem Rucksack durch Schwarzafrika
würde. Sicher wüsste er, wie er am elegantesten durch die sich vor uns abzeichnenden Schikanen käme. Am nächsten Streckenposten in Warnbekleidung und mit rot-weißer Fahne donnerte er jedoch wieder vorbei, nicht ohne kurz vom Sitz aufzustehen, in die Hocke zu gehen und sich für den bevorstehenden, scheinbar höchste Konzentration einforderten Straßenabschnitt die Hose zurecht zu ziehen und sich anschließend in die richtige Sitzposition fallen zu lassen. Sein Platzanweiser, der bis eben noch laut auf ihn eingeredet hatte, verstummte nun und versuchte, in dem sich am Horizont abzeichnenden orangefarbenen Einerlei Details auszumachen.
Die Situation verschärfte sich, und ich konnte mir dieses Fahrverhalten beim besten Willen nicht erklären. Wollte er uns in den Tod fahren? Ich drehte mich um und blickte nach hinten. Dabei sah ich fast ausschließlich angestrengt nach vorne blickende Passagiere. Niemand sprach ein Wort. Der Gesichtsausdruck der meisten Fahrgäste war hochkonzentriert und enthielt etwas, das ich nicht genau einzuschätzen wusste. Sie blickten, als trauten sie ihren Augen nicht. Ich hatte mich nicht getäuscht. Nicht nur ich, der an das regelkonforme Verkehrsgebaren in Deutschland gewöhnt war, sondern auch unsere, in dieser Hinsicht wohl weit mehr abgehärteten, einheimischen Mitreisenden zeigten sich beunruhigt.
Sobald ich mich wieder nach vorne drehte, fiel mein Blick sofort auf den Busfahrer. Er hatte sich wieder von seinem Sitz erhoben und war erneut leicht in die Hocke gegangen. Aus für mich völlig unerklärlichen Gründen fuhr er weiter mit unveränderter Geschwindigkeit und gab einen hektisch fahnenwinkenden dritten Streckenposten mit seinem ausgestreckten und nach vorne weisenden rechten Arm Zeichen, die wohl anzeigen sollten, dass er geradeaus weiter fahren wollte. Dies irritierte mich noch mehr, ging es doch in keine andere Richtung.
Von meinem Platz aus konnte ich auf dem Tachometer des Busses erkennen, dass wir auf der leicht abschüssigen Straße anstelle der erlaubten 60 km/h sage und schreibe fast 140 km/h schnell fuhren. Und das bei einer Sichtweite von nicht mehr als ein paar hundert Metern, denn die bis hierher zumeist gerade verlaufende Straße ging an dieser Stelle in eine leichte Linkskurve über, welche über eine flache, jedoch nicht zu überblickende Kuppe führte.
Nachdem der Bus den Scheitelpunkt der Kuppe erreicht hatte, konnten wir in einigem Abstand vor uns die eigentliche Baustelle erkennen. Der Asphalt war an mehreren Stellen aufgerissen und die Straße verengte sich aus diesem Grund auf nur mehr eine Fahrbahn.
Da der Verkehr für beide Richtungen jetzt abwechselnd durchgelassen werden musste, hatte sich bis direkt vor uns ein Rückstau gebildet. Um einen Auffahrunfall zu vermeiden, löste unser Fahrer unmittelbar eine Vollbremsung aus. Mit quietschenden Reifen rutschte unser Bus vorwärts und drohte, in den tiefen Spurrillen des Asphalts ins Schleudern zu geraten. Nur mit Mühe gelang es dem hektisch agierenden Fahrer, den Bus in der Spur zu halten. Mit Panik in den Augen und zusammengebissenen Zähnen umklammerte er das Lenkrad. Die Knöchel seiner Finger zeichneten sich weiß ab und der Platzanweiser schrie mit sich überschlagender Stimme und in äußerster Erregung, während er sich mit den Füßen nach vorne abstütze und gleichzeitig versuchte, mit den Händen Halt zu finden. Uns Passagieren ging es nicht anders, wir krallten uns fest, wo wir konnten. Von hinten wurden zahlreiche auf dem Boden abgestellte Gepäckstücke nach vorne geschleuderte, begleitet von den Hilferufen der sich auf einen Auffahrunfall vorbereitenden Fahrgäste.
Alles trug sich zu wie in einem Film. Während ich das Geschehen anfangs bis ins kleinste Detail aufnahm, kniff ich, als unseren dahin rutschenden Bus nur mehr einige Meter vom Stauende trennten und in Erwartung des sich abzeichnenden Aufpralls, die Augen zusammen und schrie mit angehaltenem Atem an Michael gerichtet, dass er sich so gut es ginge festhalten sollte. Doch es kam zu keinem Aufprall. Der Verkehr vor uns rollte langsam wieder an und verschaffte uns im letzten Moment die für den Bremsweg benötigten Meter, sodass der Bus langsam ausrollen konnte und schließlich rechtzeitig zum Stehen kam.
Vor meinem inneren Auge sah ich die wegen des Leichtsinns unseres Fahrers erzürnten Passagiere einem Lynchmob gleich nach vorne stürmen und den Kamikaze-Flieger seiner gerechten Strafe zuführen. Aber nichts dergleichen
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