Afrika im Doppelpack: Vater und Sohn mit dem Rucksack durch Schwarzafrika
erwachsenen Söhne wohlgemerkt. Versetzten mich die befremdliche Lebenswirklichkeit hier im Südwesten Ugandas und der intensive Kontakt mit Sam in die Notwendigkeit, mir über derlei Fragen den Kopf zu zerbrechen? So oder so, eines war für mich ohne jeden Zweifel von Anfang an klar: Ich würde weder zusammen mit Michael noch allein mit Sam meinen Fuß in einen auch nur annähernd bordellartigen Betrieb setzen.
Doch Sam ließ nicht locker. In meiner Uneinsichtigkeit gegenüber seinem Standpunkt vermutete er als Nächstes ein monetäres Problem. Mit vor Vorfreude glänzenden Augen schlug er vor, Michael einfach auf seinem Zimmer zu lassen. Ich müsse es ihm nur plausibel erklären und solle dabei strategisch vorgehen. Das sagte er wirklich. Seine Strategie lag darin, Michael einzureden, er müsse sich für die anstehende Vulkanbesteigung ausruhen und solle deshalb abends zu Hause bleiben, während sein Vater mit einem soliden und verlässlichen Local-Guide „the Kisoro by night tour“ machte. Außerdem bliebe somit mehr Geld für uns beide zum Vergnügen mit Kisoros Schönheiten der Nacht. Der Gedanke, auf Wein, Weib und Gesang aus dem alleinigen, völlig banalen Grund verzichten zu wollen, um die Ehe nicht zu brechen, kam ihm – meine 20 Jahre Ehe hin oder her – nicht in den Sinn.
Scheinbar war Sams sexueller Notstand bereits im dunkelroten Bereich, der Kessel kurz vor dem Überkochen. Einerseits nicht unser Problem. Auf der anderen Seite war er Michael und mir mit seiner freundlichen, ja, bisweilen sehr liebevollen Art, am heutigen Tag stets hilfreich zur Seite gestanden und hatte gerade mir viel abgenommen. Ich wollte ihm gegenüber nicht undankbar erscheinen oder ihn gar vor den Kopf stoßen. Sam war eine gute Haut, soviel war klar, und er hatte sich mehr verdient als die üblichen paar Münzen Trinkgeld.
Ich fragte ihn, ob er nicht die Eifersucht seiner Freundin fürchtete, sollte sie denn von seinen Eskapaden ins Rotlichtmilieu erfahren. Diese – wie sich herausstellen sollte - nichtexistente Frau ließ bei ihm jegliche Euphorie verfliegen. Als hätte man einen Schalter umgelegt, verfinsterte sich Sams Gemütszustand, und ich sah mich bereits den ugandischen Jägerinnen der Nacht entkommen. Doch Sam hielt für uns eine Lehrstunde in afrikanischer Sozialkunde bereit, die uns aufrütteln sollte. Ein Stück afrikanischer Wirklichkeit, die nachdenklich machte. Auch wegen des nachdrücklichen, auf seinen Vorteil bedachten Sam.
Sam hatte keine Freundin. Er hatte selbstverständlich keine Freundin, noch niemals, denn er hatte selbstverständlich auch kein Geld. Kein Geld = keine Freundin. Selbstverständlich? Auch die meisten seiner Freunde hatten weder Geld noch Freundin, geschweige denn eine Ehefrau. Keine Ehefrau hieß keine Kinder, kein gesellschaftliches Renommee, kein eigenes Zuhause. Trotzdem: Sam schien umtriebig und agil, er war zur Schule gegangen, sprach leidliches Englisch und konnte Fremde von sich einnehmen. Warum ging nicht mehr, machte er nicht mehr aus sich?
Als eines von vielen Kindern hatte er im Alter von zehn die Grundschule von heute auf morgen abbrechen müssen, um stattdessen seine Eltern finanziell zu unterstützen. Seitdem versucht er – mehr schlecht als recht –, mit allerlei Jobs ein paar Schilling für die ständig klamme Haushaltskasse hinzu zu verdienen. Ohne Schul- und Berufsausbildung und dank einem Überangebot an billigen Arbeitskräften eine Fron für Körper und Seele. Er war sich für keine Arbeit zu schade, ganz gleich, ob als Tagelöhner auf dem Bau oder multifunktionell einsetzbar im informellen Sektor, etwa als Verkäufer von Second-Hand-Kleidern entlang der Hauptstraße oder als Betreiber eines gemieteten Lastenfahrrads. Nichts, was Geld in die Kasse brachte, wurde ausgelassen. In der Summe sicherte er sich und seinen Eltern damit ein geringes Einkommen, dessen Höhe er mir nicht verraten wollte. Letztendlich reichte dieses Einkommen jedoch nicht aus, um ein anständiges Mädchen auch nur für sich zu interessieren, geschweige denn für eine Beziehung, womöglich gar für eine Ehe, zu gewinnen.
Für Sam schien dies nichts Ungewöhnliches. Vielen seiner Freunde und Altersgenossen ginge es so. Er versicherte mir, dass sich im Regelfall kein Mädchen mit einem nahezu mittel- und damit auch zukunftslosen Jungen einlassen würde. Vielmehr entschieden sich die jungen Frauen für teilweise um Jahrzehnte ältere Liebhaber oder Ehemänner, solange diese nur
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