Afrika im Doppelpack: Vater und Sohn mit dem Rucksack durch Schwarzafrika
immer seltener aufbrausende Wind wurde von einer Ruhe abgelöst, die in ihrer Absolutheit überwältigte. Wir konnten das Brummen winzig kleiner Bienen hören, die zwischen den unterschiedlichen Arten von bodendeckenden Pflanzen ihren Nektar suchten und ein Heer kleinster Spinnen beobachten, das sich über den gesamten Untergrund verteilte. Dominierten in der Pflanzenwelt eher Höhe, Undurchdringlichkeit oder flächenmäßige Ausdehnung, war für die Tierwelt scheinbar das Diminutiv charakteristisch. Neben den Bienen und Spinnen fiel uns auch auf, dass die Raubvögel irgendwie kleiner erschienen als anderswo. Oder spielte uns die Höhe mit einem Mangel an Sauerstoff einen Streich und minimierte unsere Wahrnehmung?
Für Michael und mich war es der erste Aufenthalt in der afroalpinen Zone mit all ihrer geheimnisvollen Pflanzen- und Tierwelt. Wir waren berauscht von diesem Spektakel, einem Gesicht Afrikas, das wir noch nicht kannten und uns wie so vieles auf diesem Kontinent nicht hatten vorstellen können. Ich dankte Gott, zusammen mit meinem Sohn dieses Abenteuer erleben zu dürfen.
Gern hätten wir mehr Zeit auf dem Dach der Virunga-Vulkane verbracht, jedoch mahnte die Zeit zum Aufbruch. Unsere letzten Minuten auf dem Mgahinga nutzten wir, übereuphorisiert, wie wir waren, für ein irrwitziges Fotoshooting. Grimassen schneidend und den kindischsten Blödsinn treibend, sprangen Michael und ich abwechselnd zwischen den Riesenlobelien umher und ließen den Auslöser unserer Fotokamera rattern wie bei der Oskarverleihung, ehe wir mit hüpfenden Herzen zum Rückzug bliesen.
Der Abstieg gestaltete sich viel weniger anstrengend als der Aufstieg. Dank der Gravitation ging es stellenweise sogar richtig flott, erst recht, wenn einem vor Erschöpfung eines der Knie wegknickte und man daher torkelte, als käme man nicht vom Mount Mgahinga sondern vom Starkbierfest am Münchner Nockherberg. Die vermaledeiten Leitern, die uns bergauf ein einigermaßen zügiges Vorankommen ermöglicht hatten, gaben uns den Rest. Sie in entgegengesetzter Richtung wieder abzusteigen, verhieß für unsere Knie samt Wanderstock ein Mehr an Belastung und erforderte ein Übermaß an Balance. Eine Balance, die wir allzu oft nicht mehr hatten.
Wie Gandhi gestützt auf seine zwei Nichten rumpelte ich festgekrallt an Markus und Mati die letzten der gefühlt 100.000 Leitern hinunter, während Michael im Überschwang der Jugend immer noch wie ein junges Reh voraushüpfte und die Schreie der Goldmeerkatzen imitierte.
Über Markus und Mati ließe sich im Nachhinein nur Gutes sagen. Mati musste uns zwar letzten Endes gegen keine akute Gefahr verteidigen, er ging uns aber auch nicht auf den Wecker. Seine schweigsame, etwas bedrohliche Art hatte, so widersprüchlich es sich anhören mag, auch etwas Beruhigendes. Immerhin wussten wir uns jederzeit vor allen imaginären Feinden beschützt. Und vielleicht lag einer der Hauptgründe für seine permanente Anwesenheit vielmehr in der abschreckenden Wirkung, die zweifelsohne von ihm ausging, als in irgendetwas anderem.
An Markus war ein Biologe verloren gegangen. Wenn er vor uns her stiefelte, brabbelte er ohne Unterlass über die Blätter an dem Baum links, aus deren tagelang über dem Holzfeuer gebrauten Sud sich ein Heilmittel gegen alles Mögliche extrahieren ließ, oder über das Balzverhalten der blaugrünen, amselgroßen Vögel über, neben, hinter und vor uns, deren grelles Gezeter uns manchmal das eigene Wort nicht verstehen ließ. Er referierte über die Lebensweise der Waldelefanten genauso selbstsicher wie bei seinem Plädoyer für den extrem seltenen Leoparden, das er mit einem netten empirischen Erlebnis aufhübschte, von dem wir hofften, es möge sich, während wir an seiner Seite gingen, bitte nicht mehr wiederholen. Augenzeuge eines Leoparden-Angriffs: ja, sehr gerne. Aus der Sicht des Zuschauers, aber bitte nicht der Beute. Auch wenn es sich die Raubkatze im letzten Moment dann doch noch einmal anders überlegt.
Kurzum, Markus wusste auf alle je gestellten oder nicht gestellten Fragen eine Antwort, zumindest eine, die wir nicht widerlegen konnten. Nur einmal erwischten wir ihn auf dem falschen Fuß: „Markus, was sind das da für Löcher in den Bambusstämmen?“, fragte ich mit meiner einfältigsten Stimme und zeigte dabei auf ein paar winzige Röhren. Während er zu grübeln anfing, taxierte ich ihn mit oberlehrerhaft vorgeschobenem Kinn und aufgerissenen Augen, als ginge es um die
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