Afrika, Meine Passion
Allerdings verstand keine von uns Bettlerinnen Englisch, aber es war ja nur wichtig, dass sie uns Geld gab. Wochen später erschien sie mit einer anderen Frau, die für sie ins Kiswahili übersetzte. Ingrid ließ erklären, dass es so nicht weitergehen könne. Sie gebe uns Montag Geld und am Mittwoch hätten wir nichts mehr. Eines Tages werde sie in ihr Land zurückkehren und dann würde niemand mehr kommen und nach uns schauen. Wir müssten unbedingt unser Leben ändern. Wir entgegneten ihr: ›Wie sollen wir unser Leben ändern, wenn wir nichts besitzen? Wir haben kein Geld. Wir haben kein Haus. Wir haben nichts außer der Straße, auf der wir sitzen und jeden anbetteln können – gib mir etwas Geld, gib mir einige Schillinge!‹ Doch Ingrid war überzeugt, dass es einen Weg fort von der Straße geben müsse. Sie werde darüber nachdenken.
Einige Zeit später erklärte sie uns dann, dass ein Lastwagen kommen und uns nach Soweto bringen würde. ›Nach Soweto?‹, fragten wir. ›Wo ist denn Soweto und was sollen wir dort, wenn es keine Häuser gibt?‹ Und sie antwortete: ›Ihr habt gar keine andere Wahl, die Regierung will euch nicht länger auf der Straße dulden. Es kommt hoher Besuch nach Nairobi und sie wollen keine Bettler mehr sehen. Wer nicht freiwillig geht, wird ins Gefängnis kommen. Ihr werdet alle in einem großen Zelt wohnen.‹ Aber wir Straßenmütter waren sehr misstrauisch und dachten nur, vielleicht will sie uns in den Fluss kippen. Der Laster kam tatsächlich und man sagte uns, dass wir ins Gefängnis kommen, wenn wir nicht einsteigen. In Soweto wohnten wir dann alle zusammen mit unseren Kindern in einem großen, weißen Zelt. Aber du musst wissen: Wir kamen von der Straße und dementsprechend waren wir alle sehr unanständig und grob. Wir stritten und schlugen uns und das vor den Augen unserer Kinder.
Nach etwa zwei Wochen entschied Ingrid, dass es so nicht weitergehen könne. Sie fand für jede von uns einen Unterschlupf. Wir bekamen Hütten, und für jeden gab es ein Bett und eine Decke. Doch sie meinte energisch, dass auch wir etwas unternehmen müssten. ›Jede von euch hat sicher eine Möglichkeit oder ein Talent, womit sich Geld verdienen lässt‹, war Ingrid überzeugt. Da sagte ich ihr: ›Ich komme aus der Gegend des Lake Victoria und weiß alles über Fische.‹ Sie gab mir etwas Geld und ich begann mit den ersten drei frittierten Fischen. Ingrid forderte mich auf, jeden Tag ein bisschen zu sparen und ihr das Geld am Ende der Woche zur Aufbewahrung abzugeben. Wenn ich das eine Zeit lang konsequent durchhalten würde, werde sie mir dieses Geld verdoppeln. Ich glaubte nicht so recht daran, aber ich sparte, obwohl es sehr hart war, von dem Wenigen noch etwas zur Seite zu legen. Nach einem Jahr hatte ich 1.000 Schilling gespart und bekam das Doppelte. Ich war unglaublich glücklich. Ich kaufte mehr von den kleinen Fischen und frittierte weiter. Meine Kinder hatten endlich genügend Ugali zu essen. Nach einem weiteren Jahr hatte ich bereits 2.500 Schilling zurückgelegt und bekam dafür 5.000 und wieder etwas später erhielt ich bereits einen Kredit von 10.000 Schilling.
Corinne, ich sage dir, so viel Geld in meinen Händen, das fühlte sich wie ein Traum an. Natürlich musste ich jetzt immer mehr abbezahlen, aber durch ein immer größeres Angebot floss das Geld schneller zurück. Ich hatte die Idee, einen Shop aufzubauen, und konnte mit dem nächsten Kredit einen Laden auf dem Markt mieten und einrichten. Das Geschäft lief gut und immer mehr Leute kamen, um mit mir über mein Erfolgsgeheimnis zu sprechen. Ich gab auch Interviews und erzählte aus meinem Leben. Dem Shopbesitzer jedoch passte das alles plötzlich nicht mehr und er vertrieb mich aus dem Laden. Er war wohl eifersüchtig und dachte, ich würde viel Geld dafür bekommen. Wieder frittierte und verkaufte ich meine Fische auf der Straße, doch ich wollte mehr und betete: ›Lieber Gott, bitte hilf mir, damit ich mein eigenes Haus bekomme und mit einem Laden weitermachen kann. Bitte, lieber Gott, vergiss Claris nicht!‹
Tatsächlich schaffte ich es bis zu der Kreditstufe, bei der man mir 150.000 Schilling [1.500 Euro] auszahlte. Nun erwarb ich vier kleine Grundstücke mit Steinhäuschen darauf. Mit der nächsten Kreditstufe richtete ich in zwei Häuschen ein kleines Fischrestaurant mit Ugali, Gemüse und Sodas ein. Heute führt ein Sohn dieses Restaurant, denn er ist der Manager. Ein weiterer Sohn eröffnete einen
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