Afrika, Meine Passion
Jamii Bora. Ich möchte ihn kennenlernen. Er hat so einen tollen Einfluss auf dich!‹« Alle Anwesenden lachen, als John diese Anekdote erzählt.
Ich frage ihn, ob nun der Kontakt zur Mutter besser sei, und sofort antwortet er: »Ja, ja, natürlich, heute rufe ich meine Mutter täglich an. Es geht nicht mehr ohne mindestes einen Anruf pro Tag. Sie ist sehr stolz auf mich! Ich kann sagen, Jamii Bora hat mein Leben nicht nur verändert, sondern gerettet.«
Abschließend möchte ich von John wissen, ob er keine Angst hat, dass er wieder rückfällig werden könnte. Er lächelt und sagt energisch: »Nein, unmöglich! Heute bin ich glücklich, damals existierte dieses Wort für mich nicht. Ich wohne in der Nähe von Kibera, und wenn ich nach Hause komme, nennt mich jemand Papa. Das ist das absolute Glück!«
J ohn hat gerade seinen letzten Satz beendet, als ich eine leichte Unruhe im Raum bemerke. Schon steht Ingrid Munro im Zimmer, die Frau, die das alles ins Rollen gebracht hat und von allen liebevoll Mama Ingrid genannt wird. Sie tritt erstaunlich bescheiden auf. Ihre langen, weißgrauen Haare sind im Nacken zusammengebunden und lassen ihre klaren blauen und wachen Augen in den Mittelpunkt rücken. Sofort nach der Begrüßung beginnt sie mit leicht heiserer Stimme von den Anfangszeiten zu berichten. Sie erzählt locker und mit vielen Anekdoten, die trotz der Tragik, die in ihnen steckt, zum Lachen anregen. So sagt die gebürtige Schwedin auch, dass sie eigentlich mit ihren 69 Jahren pensioniert wäre, aber die ehemaligen Bettlerinnen lassen sie nicht zur Ruhe kommen und meinen: »Eine Mama kann nie in Rente gehen, was sollten wir ohne Ingrid machen?«
»Aber ich habe diese Organisation inzwischen so aufgebaut, dass viele junge Menschen meine Arbeit erledigen können. Es ist ja nicht mehr so wie zu Beginn, als wir ›der Club der Bettlerinnen‹ genannt wurden. Es begann mit fünfzig Straßenfrauen. In der Anfangszeit habe ich das Geld persönlich entgegengenommen und abends auf dem Ehebett alles säuberlich aufgeschrieben und notiert«, schmunzelt Ingrid.
»Ja, diese Frauen bildeten den Kern der heute größten Mikrofinanzinstitution in Kenia und wohl der bekanntesten auf der Welt. Ihnen haben wir es zu verdanken, nicht mir, denn sie haben dafür gearbeitet. Ich habe nur den Weg gezeigt, habe sie motiviert und begleitet. Wir haben uns nie vor Problemen oder harter Arbeit gefürchtet, auch wenn uns viele für verrückt erklärten. Bei uns bekommen auch Diebe, Prostituierte und Bettler Kredit, denn alle sind Menschen, müssen Kinder ernähren und haben ein Recht, aus der Armut herauszukommen. Das, was sie sind, sind sie nicht freiwillig. Niemand wird als Dieb oder Prostituierte geboren. Jeder möchte nur überleben, wie diese zwei Jungen, John und Bernhard. Sie waren richtige Hooligans und heute sind sie großartige Mitbürger. Aber die Anfangszeiten waren hart und es ging wüst zu. Viele der Frauen waren häufig betrunken, und wenn es etwas zu besprechen gab, redeten alle undiszipliniert durcheinander. Ja, ich kenne jede persönlich und habe viel mit ihnen erlebt«, sagt Ingrid und lacht dabei.
»Aber der Grund, warum ich mit diesen Frauen überhaupt in Berührung kam, war ein kleiner Straßenjunge von sieben Jahren. Schwer verletzt kam er zu mir und meinem Mann. Er ist geblieben und wir haben ihn adoptiert. Dennoch zog es ihn immer wieder auf die Straße zurück, weil er seinen jüngeren Bruder suchen wollte. Auf diese Weise begegnete ich häufig den Straßenfrauen. Ich lernte sie langsam kennen, doch es war sehr schwer, Zugang zu ihnen zu bekommen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Ohne diesen Jungen hätte es wohl nie geklappt. Erst vier Jahre später fanden wir seinen Bruder, der bereits als Vierjähriger ins Gefängnis gesteckt worden war – unglaublich! Es begann ein langer Prozess, bis er freikam und wir ihn ebenfalls adoptieren konnten. Dieser Junge war unendlich dankbar, dass er nach all den Gefängnisjahren eine Mama bekam. Denn jedes Kind wünscht sich eine Mutter, egal ob weiß, braun, dick oder dünn. Hauptsache man hat eine Mama, die Liebe geben kann«, beendet Ingrid ihre kurze Erzählung, bevor sie uns verabschiedet, weil wir ein weiteres Projekt von Jamii Bora besuchen möchten, das doch einige Stunden entfernt liegt.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei dieser großartigen Frau, die in meinen Augen auf jeden Fall einen Nobelpreis verdienen würde.
Kaputiei Town – ein afrikanisches Wunder
Wir
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