Afrika, Meine Passion
kleines Mädchen. Alle Kinder scharen sich um mich, während ich mich erstmals richtig umsehe.
Das Dorf ist größer, als ich es mir vorgestellt habe. Die Häuser erinnern mich ein wenig an Maralal, jedoch wirkt hier alles ein bisschen ruhiger.
Nach so vielen Jahren stehe ich nun in Barsaloi, ich kann nicht glauben, dass ich wirklich hier bin. Es kommt mir alles vor wie ein Traum.
Nach den Frauen nähern sich nun auch die ersten alten Männer. Und schon sehe ich Papa Saguna, den älteren Bruder von Lketinga, langsam heranschreiten. Seine Miene ist wie immer ernst, und trotzdem erkenne ich seine Freude, als er mir die Hand reicht. Sein Gesicht ist enorm gealtert und seine Augen haben eine hellblaue, durchsichtige Farbe angenommen, offenbar ein Anzeichen für grauen Star. Er ist wie Lketinga sehr schlank und kleidet sich noch eher traditionell. Anstelle von Hosen trägt er ein Hüfttuch und an den Füßen weiße Plastiksandalen. Über sein rotes T-Shirt hat er eine dünne, rot gestreifte Decke geworfen. Bedauerlicherweise kann ich mich mit ihm nur spärlich unterhalten, da er ausschließlich die Maa-Sprache spricht und ich von dem wenigen, das ich einmal konnte, das meiste vergessen habe. Auch Napirai streckt er die Hand entgegen und lacht so herzhaft, dass eine Reihe tadellos weißer Zähne zu sehen ist. Seine Augen leuchten für einen kurzen Moment auf, als er sagt: »Supa, Napirai, serian?« Es handelt sich dabei immer um dieselbe Begrüßungsformel. Es ist nicht seine Art, uns zu umarmen, die Herzlichkeit ist dennoch spürbar.
James bittet uns, in den Kral einzutreten, um weitere Familienmitglieder zu begrüßen. Doch Lketinga möchte uns zuerst durch seinen Shop führen, den er »Inter White Maasai Shop« genannt hat. Drinnen ist es ziemlich dunkel und außer ein paar Secondhand-Kleidern sowie Seife und Waschpulver kann ich kaum etwas erkennen. Vor der offenen Tür stehen so viele Dorfkinder, die jeden Schritt von uns verfolgen, dass das wenige Tageslicht noch spärlicher hereinscheint.
Lketingas Frau huscht an mir vorbei und sucht offensichtlich zwei ihrer Kinder vor der Tür. Sie ist hübsch und trägt noch den ausladenden traditionellen Halsschmuck. Sie müsste nun etwa Mitte zwanzig sein. Wenngleich sie sich scheu zurückhält, lässt sie später beim Verteilen der Geschenke durchaus erkennen, dass ich ihr nicht unsympathisch bin. Schließlich sind ihre drei Kinder, die alle in den letzten sechs Jahren geboren wurden, Halbgeschwister von Napirai.
Wir verlassen den Shop und stehen nun mitten im Kral, der relativ groß ist. Etwas abseits befinden sich ein Toilettenhäuschen mit Plumpsklo und daneben einige kleine manyattaähnliche Rundhüttchen für die jungen Zicklein. Hühner mit ihren Küken picken überall auf dem grauen staubigen Boden herum. James führt uns zu seinem Haus, wo Stefania, seine Frau, bereits auf uns wartet. Strahlend umarmt sie mich, um anschließend Napirai an sich zu drücken. Sie ist eine sehr herzliche Frau und passt gut zu James. Zusammen haben sie bereits fünf Kinder, und ihrer Fülle nach zu urteilen, ist sie wahrscheinlich erneut in anderen Umständen. Hier spricht man aber nicht darüber.
James’ ältere Kinder klammern sich sofort an Napirai und mir fest und freuen sich sichtlich über den Besuch. Nur das jüngste, etwa einjährige Mädchen weint erschrocken, als es die hellen Gesichter sieht. Stefania muss sie außer Sichtweite bringen, damit sich die Kleine wieder beruhigt. Dafür kommt ihre etwas größere Schwester und möchte gleich von Napirai auf den Arm genommen werden.
Während ich noch damit beschäftigt bin herauszufinden, welche Kinder zu James und welche zu Lketinga gehören, vernehme ich hinter mir ein Schluchzen. Ich drehe mich um und erblicke Lketingas Schwester. Sie mochte ich schon immer sehr, obwohl sie wie der ältere Bruder oft etwas traurig und ernst wirkte. Jetzt kommt sie auf mich zu und fällt mir schluchzend in die Arme. Sie drückt ihren Kopf an meinen Hals, der von ihren Tränen ganz nass wird. Auch sie ist sehr dünn, fast zerbrechlich. Ihr zarter Körper schüttelt sich in meinen Armen und ich versuche, sie zu beruhigen. Dieser Gefühlsausbruch berührt mich sehr und es fällt mir schwer, meine ebenfalls aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Lketinga sieht weg und James lacht verlegen, da sich das Zeigen von Emotionen nicht gehört. Immer wieder höre ich: »Corinne, Corinne.« Dann löst sie sich von mir und geht zu Napirai, bei der sich
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