Afrika Quer (German Edition)
zu kommen. Die Wiedereinführung der Scharia, die die Briten zerstört haben, muss ein Katalysator werden, um unsere Leute wieder zurück in die Welt zu bringen.“
Dass die Menschen in Afrika in eine Lethargie verfallen waren, deckte sich exakt mit meinen Erfahrungen. Auch mir war es oft so vorgekommen, als ob die Afrikaner von einer geheimnisvollen Lähmung befallen waren, als ob sie starr geworden seien vor Furcht, während um sie herum alles in den Endzustand überging. Das bemerkten sie wohl, aber sie wussten einfach nicht, was sie dagegen tun sollten.
Nur hatte Aliyu Gusaus Analyse einen kleinen Schönheitsfehler. Sie verlangte Unmögliches. Nicht die Menschen sollten sich der Welt und ihrer Zeit anpassen, sondern die Welt den Menschen und ihren Traditionen. Und so wird den Hausa natürlich weiter der Blues an den Stiefeln kleben.
Trotz Scharia wird bei ihnen alles bleiben, wie es war. Trotz all des Wohlstandes aus dem nigerianischen Öleinkommen werden die Leute in Dutse, Kano und Gusau weiter kein fließend Wasser und nur ab und zu einmal Strom haben. Sie werden weiter in ihrer Rentenwirtschaft leben, der tribale Verteilungsmechanismus von Patron und Klient wird weiter funktionieren, und das Einkommen aus der Ölförderung wird weiter nach unten verteilt werden.
Aber sobald es darum gehen wird, etwas zu organisieren, wofür man eine Verwaltung braucht, etwas das nicht durch tribale Strukturen zu haben ist, eine Wasser- oder Stromversorgung zum Beispiel oder eine funktionierende Polizei und Justiz, werden deren Angestellte sofort anfangen, sich aus der öffentlichen Kasse zu bedienen - und alles wird wie üblich schief gehen.
In Kano lassen die Bewohner sogar hochoffiziell ihre historische Stadtmauer verfallen. Während ich in der Stadt war, schrieb ein Journalist einen leidenschaftlichen Appell in einer großen Tageszeitung, sie doch zu erhalten. Niemand reagierte.
Als ich die Stadtmauer aus Ton in Kano zum ersten Mal sah, dachte ich, sie sei ein Berg, so hoch war sie und so breit an ihrem Fuß. Sie war wirklich beeindruckend, aber an vielen Stellen ist sie durch die Witterung inzwischen zu mickrigen Häufchen zusammengeschmolzen.
Natürlich ist die Stadtmauer in Kano das deutlichste Symbol der glorreichen Geschichte der Hausa. Aber man müsste eben eine Verwaltung haben, um ihren Verfall zu stoppen. Mit wolkigen Reden über die Katalysatorwirkung der Scharia geht das nicht.
Die Stadtmauer ist den Hausa auch herzlich egal. Denn diesem konkreten Abbild ihrer Vergangenheit fehlt die entscheidende Stoßrichtung der Tradition, die sie andauernd im Munde führen: der Widerstand und dessen gleichzeitige Rechtfertigung gegen den vermeintlich westlichen Entwicklungsweg. Tja, so geht der Hausa Blues.
Landjugend lernt (Gadou)
In den tschadischen Städten waren mir die kleinen, zerlumpten Jungen zuerst aufgefallen. Sie waren zwischen sieben, acht und vielleicht dreizehn, vierzehn Jahren alt und zogen mit zerrissenen Kleidern um die dürren Knochen und einer Plastikschüssel in der Hand durch die Straßen und erbettelten sich Essen oder ein bisschen Geld.
In Nord-Nigeria gab es wahre Massen von ihnen. Wenn ich draußen aß, standen sie hungrig im Kreis um mich herum und warteten geduldig auf die Essensreste.
Im Niger klauten sie mir die Knochen vom Teller, während ich noch aß, um sie gierig abzunagen.
Und später in Mali und im Senegal gab es sie auch überall. Diesmal waren sie nur anstatt mit einem alten Topf oder einer Plastikschüssel mit einem Eimerchen für das erbettelte Essen ausgerüstet.
Ich ignorierte diese Jungen, so gut es ging. Für mich konnten sie nur Ärger bedeuten. Es gab so viele von ihnen, und zwischen ihnen und mir war der Unterschied zu groß, noch viel größer als zu den durchschnittlichen Afrikanern ohnehin. Sie hatten nichts, ich eine ganze Menge. Es hätte nur damit enden können, dass sie etwas davon haben wollten, und ich sie abwimmeln musste. Deshalb hielt ich mich fern von ihnen.
Jeder sagte mir, sie seien Koranschüler. In Djerma, der Sprache der ethnischen Gruppe um die nigrische Hauptstadt Niamey, hießen sie Talibé (von arab. Talib = Koranschüler), in Hausa Almajiri.
Weil sie auf der Straße zu leben schienen, hielt ich sie für Straßenkinder aus zerrütteten Familien mit der üblichen Geschichte von Armut und Vernachlässigung, so wie es sie eigentlich in jeder größeren afrikanischen Stadt gibt.
Für sie zu interessieren begann ich mich erst, nachdem ich
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