Afrika Quer (German Edition)
Elias hatte Glück. Er musste nichts von den wenigen Geldstücken, die er bekam, an seinen Marabu abgeben. Die Hilfsorganisationen in Niamey können ein Lied davon singen, wie viele Betrüger es heutzutage unter den islamischen Lehrern der Stadt gibt. Sie werden reich und fett und prügeln die Jungen, wenn sie nicht täglich genügend Geld von ihren Touren zurückbringen. Besonders die Marabus der Djerma, der ethnischen Gruppe in und um Niamey, hatten einen sehr schlechten Ruf.
Deshalb fuhren mein Übersetzer und ich zu dem renommierten Marabu Cheik Issakou Guingarey im Viertel Bani Fandou I. Er war Hausa und nicht Djerma, galt als religiöse Autorität, sprach während des Fastenmonats Ramadan manchmal im nigrischen Radio und war gleichzeitig Imam der Woresh-Moschee gleich nebenan. So kamen wir zu dem 13-jährigen Elias.
Bani Fandou I war ein für Niamey typisches Vorstadtviertel mit flachen Häusern und sandigen Straßen. Nur während des Uranbooms der siebziger Jahre wurden in der nigrischen Metropole ein paar moderne Verwaltungsgebäude am Nigerufer gebaut.
Und weil viele Nomaden während der Trockenzeit mit ihrer ganzen Habe und ihren Kamelen in die Stadt kommen und ihre Lager in den Straßen und freien Plätzen errichten, erinnert Niamey mit seinen Vierteln aus flachen, aus Ton und Schilfmatten flüchtig zusammengebauten Behausungen eher an ein großes Nomadenlager als an die Hauptstadt eines souveränen Landes.
Niger und Mali sind zwei der ärmsten Länder der Welt. Auf der Liste des UNO-Entwicklungsindexes liegen beide Länder regelmäßig ganz hinten. Nur Länder, in denen lange Bürgerkrieg herrschte, schneiden noch schlechter ab als sie. Ihr Norden reicht jeweils bis in die Sahara. Die Voraussetzungen für die Landwirtschaft sind schlecht. Lange Dürreperioden gibt es immer wieder.
Elias' Schule in Bani Fandou I war von einer hohen Mauer umgeben. Dahinter standen zwei nackte Baracken aus Beton, und dort lag eben jener sandige Hof, auf dem das Dach stand, unter dem Elias schlief.
Außer den zwei Dutzend Jungen, die von ihren Eltern aus ihren Dörfern hierher geschickt worden waren, kamen in Elias' Schule auch die Kinder der Nachbarschaft. Die saßen dichtgedrängt in der einen Baracke auf dem Betonboden. Sie waren viel jünger und deutlich in der Mehrzahl. Für sie war die Koranschule mehr wie ein Kindergarten. „Ihre Eltern sind ganz froh, wenn sie die kleinen Plagegeister für ein paar Stunden loshaben“, sagte der Übersetzer.
Ihre Eltern zahlten dafür umgerechnet 15 Cent die Woche, Elias Eltern, je nachdem wie die Ernte gelaufen war, für das ganze Jahr eine Ziege oder einen Sack Sorghum.
Geprügelt wurde auch in Elias Schule. Aber die Lehrer, die drei ältesten Söhne des Marabus, stürmten mit dem erhobenen Holzstock nur auf ihre Schüler los, wenn sie wieder einmal geschwätzt und nicht aufgepasst hatten.
Alle Kinder lernten, wie das seit Hunderten von Jahren in der Region Tradition ist: Zuerst im melodischen Singsang und im Chor jede einzelne Sure des Koran auswendig und dann, wie man arabisch liest und schreibt.
Elias saß die ganze Zeit zusammengekauert mit einer aus einem Strohhalm geschnittenen Feder und aus Kohlenstaub hergestellter Tinte unter seinem Dach und kopierte Koransuren auf eine kleine Holztafel. Wenn er fertig war, zeigte er sie seinem Lehrer. War sie sauber abgeschrieben, wischte Elias die Tinte wieder von der Tafel und begann mit der nächsten. Meistens fing er mit der alten jedoch wieder von vorne an.
Wie alle Kinder verstand er nicht die Bedeutung der arabischen Schriftzeichen, die er auf seine Tafel kritzelte, oder der Worte, die er auswendig herunterleierte. Das war auch nicht der Sinn des Lernens. Nicht einmal der älteste Sohn Guingareys verstand Arabisch.
„ Die Übersetzung ist das allerschwierigste. Das kommt erst viel später“, meinte der 34-jährige wie selbstverständlich. Und Marabu zu werden, dauere oft zehn, fünfzehn Jahre. Er lernte selbst noch.
Dass Guingarey selbst Arabisch verstand, lag nur daran, dass er ein paar Jahre im Sudan und in Saudi Arabien gelebt hatte. Eine Voraussetzung jedoch, um Marabu zu werden, war Arabisch zu sprechen nicht.
Elias kam aus einem Dorf, das zu Fuß nur zwanzig Minuten von Guingareys Geburtsort entfernt liegt. Elias Eltern wollten, dass der Junge selbst einmal Marabu wird, eine Schule gründet und sie dann zuhause in ihrem Dorf unterstützt. Deshalb hatten sie ihn vor drei Jahren nach Niamey geschickt.
Elias
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