Afrika Quer (German Edition)
wollte das auch, sagte er. Und Guingarey meinte - typisch Afrika – auf die Frage, ob Elias Talent habe, ob er es denn überhaupt bis zum Marabu bringen könne: Ja, klar, Elias sei einer der folgsamsten Schüler, habe gut gelernt, die Autorität der Älteren zu akzeptieren und verfüge deshalb über die notwendigen Voraussetzungen.
Elias Dorf Gadou liegt 150 Kilometer nordöstlich von Niamey. Aber es war trotzdem eine beschwerliche Reise, bis wir dort hinkamen. Die Teerstraße nach Filingué mussten wir verlassen und noch einmal zwanzig Kilometer mit einem Sammeltaxi durch den Busch fahren, von dort dann noch einmal zwei Stunden auf der Ladefläche eines Eselskarrens.
Elias Vater war gerade in einem Nachbardorf, um etwas zu besorgen. Er kam erst am Abend zurück. Seine Mutter erschrak sichtlich, als Elias auf einmal mit einem Weißen vor der Tür stand. Selbst, nachdem er ihr versichert hatte, dass alles in Ordnung sei, dass ich nur mitgekommen bin, weil ich sein Dorf sehen wollte, blieb sie weiter misstrauisch.
Sie lebte mit ihrem Mann und seiner zweiten, jüngeren Ehefrau in einem kleinen Hof mit zwei Hütten. Eine war für sie und ihre vier Kinder, die andere für die zweite Frau.
Die Hütten hatten Lehmwände, die während des Tages so heiß wurden, dass man sich selbst im Inneren kaum anlehnen wollte, und fast kugelrunde Dächer aus Stroh. Das gab ihnen die Form von zu groß geratenen Iglus.
Elias ältere Schwester war schon verheiratet. Die Mutter selbst wusste nicht, wie alt sie war. Ich schätzte sie auf Ende dreißig. Aber der Übersetzer sagte: „Die Frauen sind hier sehr schnell verbraucht. Oft werden sie schon mit fünfzehn Jahren verheiratet.“ Deshalb müsse Elias Mutter um die dreißig sein.
Elias Familie baute während der Regenzeit Sorghum an. Dass in dem Sand um die weit verstreuten Höfe überhaupt irgendetwas wuchs, war schon erstaunlich. Aber Sorghum wächst überall in der Sahelzone noch unter den kärgsten Bedingungen.
Die Pflanzen sehen aus wie kleinwüchsiger Mais. Allerdings tragen Sorghum-Stengel keine Kolben, und die Körner wachsen in den Ähren an der Spitze.
Neben einer verschwundenen Reisart ist es das einzige heute noch in Afrika bekannte Getreide, das schon auf dem Kontinent heimisch war, bevor die Portugiesen im 15. Jahrhundert hier landeten.
Gestampft und mit Wasser und Zucker vermischt werden seine Körner zur täglichen, Furra genannten Mehlsuppe verarbeitet.
Außerdem hatte Elias Familie eine Kuh. Eine kleine Herde Ziegen war während der jüngsten Dürre gestorben.
Und Elias Vater hatte eine mechanische Nähmaschine. Mit seinem Kamel, dem größten Reichtum der Familie, transportierte er sie einmal in der Woche zum Markt in das Dorf an der Piste nach Filingué, um die zerrissenen Kleider der Leute zu stopfen und sich ein paar CFA-Francs zu verdienen.
Elias Mutter sagte zuerst, dass sie Elias auf die Koranschule nach Niamey geschickt haben, weil er für die Grundschule schon zu alt war. Deshalb hatten sie ihn dort nicht mehr anmelden können.
Aber warum haben sie es dann nicht früher versucht?
„ Wir haben es vergessen“, antwortete sie. „Es ist uns erst zu spät wieder eingefallen.“
Sie hatten es vergessen! Wie konnte man so etwas vergessen?
Sie saß auf dem Boden ihrer Hütte mit dem Rücken an den zentralen Baumstamm gelehnt, der das Dach stützte, und fächelte ihrem nackten, jüngsten Sohn mit einem Tuch ein bisschen Luft zu. Sie trug ein Kopftuch, das gerade ihre Haare bedeckte, und ein luftiges, kurzärmeliges Kleid. Es war so heiß, dass der Schweiß in Bächen an mir herunterlief.
„ Na ja, am Anfang hatten wir nicht das Geld, um die Schulgebühren zu bezahlen“, erklärte sie stockend. „Außerdem gibt es keine Schule in der Nähe, und es ist so weit, dass man das Kind bei jemandem anderen wohnen lassen müsste.“
Überhaupt könne man heutzutage die Kinder auf beide Schulen schicken, die Koranschule und die öffentliche. Zwar habe die öffentliche Schule den Vorteil, dass das Kind Französisch lernt und deshalb eine Stelle in der staatlichen Verwaltung finden kann, aber die Koranschule habe dafür andere Vorzüge.
Des Rätsels Lösung, warum die Mutter mehrere Versionen einer Begebenheit erzählte, fand ich erst, als wir am Nachmittag auf einmal vor einer Grundschule standen. Für die richtige Version schämte sich die Mutter offenbar.
Auch als ich später ein Foto von ihr mit ihren Kindern machen wollte, kramte sie viel zu große
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