Afrika Quer (German Edition)
Hemden heraus und zog sie den Kleinen über - damit man in Europa keine nackten Kinderchen sah, deren Eltern sich kein Hemd leisten konnten.
Elias Onkel war die Geschichte von Elias später Einschulung nicht peinlich. Er hatte sich bereit erklärt, uns ein bisschen das Dorf zu zeigen. Obwohl Trockenzeit war und es dort nichts zu tun gab, war er gerade auf seinem Feld, als er von unserer Ankunft hörte. Er schien froh, uns ein bisschen die Gegend zeigen zu können.
So wateten wir durch sandige Wege und ebenso sandige Felder, auf denen noch ein paar verbrannte Sorghum-Halme herumlagen und ein paar vereinzelte Akazien standen. Der Onkel schwang übermütig seinen Spazierstock und schritt mächtig aus.
Er war Mitte fünfzig, trug eine schwarze, lange Kutte, einen weißen Turban und hatte eine alte Motoröldose mit einem Holzkorken und etwas warmem Wasser in der Hand.
Als wir dann die Schule sahen, erzählte der Onkel gutgelaunt, dass Elias nicht dorthin ging, lag daran, dass der Rat der Dorfältesten erst im vergangenen Jahr den Besuch der öffentlichen Schule erlaubt hat. Erst von da an, entschied er, durften die Kinder des Dorfes in die moderne Schule gehen - anstatt in die Koranschule. Da war Elias allerdings schon zu alt. Erst sein siebenjähriger Bruder ging nun dorthin.
Als Elias Vater am Abend nach Hause kam, sagte er über die Entscheidung des Ältestenrats wie selbstverständlich: „Das war schlicht die totale Ignoranz.“ Aber sich dagegen gestemmt oder gar dagegen verstoßen hat er auch nicht. Elias Dorf ist nicht groß, und alle Einwohner gehören zur selben Sippe.
Vor fünfzig Jahren, hatte mir der Emir von Dutse erzählt, hätten viele Hausa noch die westliche Erziehung abgelehnt. Und wenn man dem Islamisten der ersten Stunde Aminu Aliyu Gusau glaubte, war das sogar noch bis vor zehn Jahren so.
Aber Elias Onkel berichtete nun, die Ältesten hätten erst im vergangenen Jahr schließlich ihre Meinung geändert, weil die Leute im Dorf nicht mehr von ihren Feldern leben konnten.
„ Das Klima hat sich geändert“, sagte er. „Seit zehn Jahren hatten wir keine gute Ernte mehr. Das Getreide, das wir einfahren, reicht vielleicht für zwei Monate, dann sind unsere Speicher leer.“ Überleben könnten die Familien nur noch, in dem sie ihre Tiere zum Markt brachten und vom Erlös Mehl dazukauften.
Dann schauten wir uns die kleine Schule an. Sie war für die Kinder mehrerer umliegender Dörfer. Von dem Hof von Elias Eltern brauchte man dorthin vielleicht zwanzig Minuten zu Fuß.
Die Schule bestand aus zwei kleinen Häuschen mit Wellblechdächern und adretten türkisfarbenen Fensterläden. In ihren Räumen verloren sich jeweils zehn Schüler der dritten und vierten Klasse, sowie der fünften und sechsten. Neben den beiden Häuschen stand ein großer Verschlag aus Ästen und Strohmatten für die Kinder der ersten und zweiten Klasse. Natürlich waren fast kaum Mädchen zu sehen.
Wenn es regnet, sagte einer der Lehrer, konnten sie unter dem großen Dach für die erste und zweite Klasse nicht unterrichten. Trotzdem konnte er die Regenzeit kaum mehr erwarten. Von richtigem Unterricht könne man jetzt ohnehin nicht mehr sprechen, klagte er. Weil das Getreide in fast allen Haushalten knapp ist, seien seine Schüler vor Hunger nämlich kaum mehr in der Lage sich zu konzentrieren.
Die Schule war nur mit dem allerwichtigsten ausgestattet. Jedes Kind hatte eine Bank, und auf jeder Bank lag ein Schulbuch. Aber der Unterricht war kostenlos. Die Eltern zahlten keinen Franc Schulgebühren, das Gehalt der Lehrer bezahlte der Staat, und die Schule stellte sogar die Bücher zur Verfügung.
Im afrikanischen Vergleich waren das paradiesische Verhältnisse. In Ostafrika hätte man eine solche Schule in einer solch abgelegenen Gegend mit der Lupe suchen müssen. Allerdings war es dort auch sehr selten, dass jemand seine Kinder nicht zur Schule schickte. Fast überall gehören dort die Schulgebühren zu den fest eingeplanten Ausgaben wie für Mehl oder Kleider.
Elias stand betreten daneben, als wir mit dem Lehrer sprachen. Als wir wieder zurück in Niamey waren, erzählte er, anstatt auf die Koranschule wäre er schon lieber auf die „französische Schule“ gegangen. „Fragen Sie mich nicht“, sagte er ein bisschen erstaunt, „warum die Ältesten erst kürzlich so entschieden haben.“
Natürlich hatte ihn niemand gefragt, auf welche Schule er gehen will. Ein Kind zu fragen, was es tun will? Wo kämen wir da hin!
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