Afrika Quer (German Edition)
Solche Entscheidungen treffen die Ältesten, die Hüter der Tradition, und zwar für die ganze Sippe, und keine Familie wagt es sich dagegenzustellen.
Aber nach all der Scham und den Ausweichmanövern wegen der öffentlichen Schule merkte ich am Abend auf einmal auch, dass sich hinter Elias Geschichte trotzdem eine Erfolgsgeschichte verbarg. Der Junge, der in Niamey täglich ein bisschen ums Überleben kämpfte - für die Jugend in seinem Dorf war er ein kleiner Held!
Ein Dutzend Jungen versammelte sich um ihn, um seine Geschichten aus der großen Stadt zu hören, schaute bewundernd zu ihm auf und hing förmlich an seinen Lippen. Er war einer, der es geschafft hatte. Auch von ihnen hatten es viele als Almajiri in der Hauptstadt probiert. Aber sie hatten schon nach kurzer Zeit aufgegeben.
Wenn man das Betteln und den Hunger nicht ertragen konnte, versuchte man es besser gar nicht in Niamey. Deshalb waren die meisten wieder zu Muttern zurückgekehrt, arbeiteten während der Regenzeit drei Monate auf dem Feld und langweilten sich ansonsten.
Elias war anders. Er hatte durchgehalten.
„Meine Eltern wissen, dass ich niemals ohne Grund aus Niamey zurückkommen würde“, hatte er gesagt, um uns zu beruhigen, als wir in seinem Dorf angekommen waren und das Misstrauen seiner Mutter bemerkten. Darauf war er stolz.
In den drei Jahren in Niamey hat sein Vater nur einmal kommen müssen, um sich um Elias zu kümmern, weil er krank wurde. Ansonsten hat er sich selbst durchgebissen.
Soviel Willenskraft rührte mich. Und das umso mehr, weil Elias all die Entscheidungen, die über seinen Kopf hinweg getroffen wurden und die sein Leben unwiderruflich prägten, ohne ein Wort der Klage hinnahm.
Natürlich hätte er mehr verdient. Er hatte die Voraussetzungen. Er war sicher eines der pfiffigsten Kinder, das ich in Afrika erlebte. Er kannte Niamey besser als die Taxifahrer. Er zeigte ihnen den kürzeren Weg, wenn wir in der Stadt unterwegs waren. Das war ungewöhnlich. In Nairobi hatten selbst Erwachsene oft Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden.
Und Elias wusste sich immer zu helfen. Dem Übersetzer gab ich Geld, damit er dem Jungen etwas davon für ein Taxi überließ. Am Tag, an dem wir in sein Dorf fuhren, wollten wir uns vor dem Haus des Übersetzers treffen, aber der hatte das ganze Geld für sich selbst behalten.
Kein Problem für Elias! Er stand einfach etwas früher auf, betete noch, lief zu Fuß zu unserem Treffpunkt und war pünktlich dort.
Am Busbahnhof führte er uns zum richtigen Sammeltaxi. Er organisierte unsere Sitzplätze. Er kannte die meisten Fahrer. Durch sie kommunizierte er mit seinen Eltern in ihrem Dorf.
Als wir dann mit dem Eselskarren zu seinem Dorf fuhren, erkundigte er sich beim Fahrer nach den Neuigkeiten, was passiert war, als er nicht da war: Tatsächlich, der Schuster hatte ein neues Häuschen gebaut? Aha! „Ja, dieser Sack Kolanüsse geht zu dem Händler in diesem Hof dort“, beschied er den Fahrer des Eselskarren.
Die in Westafrika allgegenwärtigen Früchte wachsen nur in tropisch-feuchtem Klima, und mich klärte er auf, dass der Sack aus Ghana importiert wurde.
Der Übersetzer und der Fahrer waren beeindruckt. Auf einem Kontinent, auf dem Erwachsene nicht wussten und oft genug auch nicht wissen wollten, was im nächsten Dorf passiert, war soviel Interesse für die eigene Umwelt äußerst ungewöhnlich.
Es mag ja sein, dass das magische Dreieck der afrikanischen Plagen aus Krieg, Hunger und AIDS ganz schön schlimm ist. Aber niemand redet darüber, wie viele Träume der jungen Leute täglich in Afrika zerstört werden.
Das ist das wirklich tragische. Sie haben keine Chance, über ihr Leben zu entscheiden, aber oft genug haben sie Besseres verdient. Und wenn sie anfangen zu merken, dass es ihre Zukunft war, für die die Älteren die falschen Weichen gestellt haben, ist es fast immer schon zu spät.
MALI
47°C und steigend (Grenze - Gao – Mopti)
Gao wusste vor allem durch viel Sand zu beeindrucken. Es gab wirklich eine Menge davon; in den Straßen, auf den Plätzen, in den Gärten und Höfen. Überall eigentlich. Sogar im Inneren mancher Häuser stand er knöcheltief. So dekorierte man in Gao seinen Fußboden, wenn man kein Geld für einen Teppich hat.
Und es war schön heiß dort. Die Meteorologen des malischen Fernsehen maßen 47°C im Schatten. Mein Westafrika-Reisehandbuch warnte sogar vor 48°C.
Beim Haare schneiden erzählte ich das dem Friseur. Er war schockiert. „48°C?!
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