Afrika Quer (German Edition)
ohne die naheliegenden Konsequenzen daraus zu ziehen?
Aber schlimmer noch: Man durfte es ihnen ja noch gar nicht einmal übel nehmen. Denn die Barre-Zeit lag einfach schon zu lange zurück. Sie konnten sich - wenn überhaupt - nur noch an ihre grausame Seite erinnern.
Und dann, als ich dachte, ich hätte nun alles durchgestanden, ich könnte bald nach Hause, hielt das Stück noch eine zweite bittere Lektion für mich bereit. Es hatte lange gedauert, schon fast zwei Stunden. Das junge Paar war inzwischen ausgebüchst und hatte gegen den Willen der Mutter geheiratet. Ich dachte: Ende gut, alles gut. Nun wird das Stück bald vorbei sein.
Aber dann nahm es noch eine Wendung, die mich schockierte, das Publikum jedoch wie selbstverständlich hinnahm. Die Mutter heuerte einen Mörder an, und der erdolchte den frisch angetrauten Ehemann in einer reichlich drastischen, lang ausgespielten und fast schon genussvollen Art und Weise.
Am nächsten Tag berichtete einer der jungen Angestellten des Internetcafes neben meinem Hotel von dem Ausflug, den er am Wochenende machen werde. Einem Freund aus Mogadischu werde er das Grabmal des in ganz Somalia berühmten Dichters und Sängers Elmi Bodhari zeigen.
Vor allem junge Liebende pilgern dorthin, in die Nähe von Berbera, dem somaliländischen Hafen am Indischen Ozean. So hat mir der Angestellte die Geschichte Bodharis erzählt: „Der Dicher sah eine junge Frau und entflammte sogleich in Liebe zu ihr. Er schrieb viele Gedichte und Lieder für sie. Die Angebetete hörte davon und sandte eine Vertraute zu ihm. Aber er schlief gerade, und so konnte die Botin ihn nicht sprechen. Es vergingen zwei, drei Jahre. Weil die Ältesten von Bodharis Clans gegen die Verbindung waren, konnte er seine Angebetete nicht heiraten. Also brachten sie ihm die schönsten Frauen aus dem ganzen Land, weit mehr als einhundert, damit er seine Angebetete vergaß. Aber Bodhari weigerte sich, eine andere zu heiraten als seine Auserwählte. Er machte ein Gedicht. Dann starb er sofort, auf der Stelle.“
Das alles trug sich wirklich Anfang des 20. Jahrhunderts zu. Nicht im Mittelalter. Also, ich könnte manchmal auch ein bisschen weniger tragisch.
Der Somalische Film II (Hargeisa)
Ich hatte zwei Fragen, die am besten ein Psychiater beantworten konnte, und da war es naheliegend, ins staatliche Krankenhaus in Hargeisa zu gehen und nach der psychiatrischen Abteilung zu fragen.
Es liegt an der Ausfallstraße zur äthiopischen Grenze, und von außen konnte man nicht darauf schließen, wie ärmlich die medizinische Versorgung darin war.
Die meisten Gebäude waren einstöckige, langgezogene Baracken in einer Anlage mit vertrockneten Bäumen und Sträuchern und Grasflächen ohne Gras. Es herrschte viel Betrieb. Überall gingen oder standen Leute, die so aussahen, als würden sie Patienten besuchen.
Ich wurde in ein Büro geschickt, in dem eine Sekretärin gerade ihre morgendliche Schreibarbeit erledigte. Sie bot mir einen Stuhl an und bat mich, auf Dr. Mohammed Abdurrahman, den Chef der psychiatrischen Abteilung, zu warten.
Ich dachte mir, es hat sicher mit dem Bürgerkrieg zu tun, dass sich so viele Leute in Somalia für verrückt halten, und ich wollte wissen, welchen Einfluss die Droge Khat auf die Psyche hat.
Mir war klar, dass er beträchtlich sein musste. Denn der Bürgermeister von Burao hatte mir schon im Winter 1998 in grellen Farben geschildert, was passiert, wenn ein paar Tage lang mal kein Khat-Flugzeug in seine Stadt kommt.
Burao liegt etwas abseits der gängigen Straßen und Flugrouten. Die Männer treten aus ihren Häusern, berichtete er, und fangen an zu diskutieren, was zu tun sei. Fast zwangsläufig kommt es zum Streit an solchen Tagen, und ohne Verletzte gehen sie in den selteneren Fällen ab.
Das konnte ich mir lebhaft vorstellen. Würde es sonst, wenn in anderen Städten die Khat-Ladung ankommt, ein solches Tohuwabohu geben?
Jeder, der schon einmal in Somalia war, weiß auch, dass der Khat einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf den Bürgerkrieg hatte. Es gibt eigentlich keinen Milizionär, der nicht kaut.
Dr. Mohammed war ein Mann in den frühen Vierzigern, mit kurz geschnittenem Haar und einer beginnenden Glatze. Er trug Jeans und T-Shirt, aber keinen weißen Arztkittel. Er begrüßte mich sehr freundlich, fast überschwänglich und führte mich in das Büro des Chefarztes.
Meine Frage, welche Folgen der Bürgerkrieg auf seine Arbeit hat, schien ihn zu belustigen. Er lachte. Und
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