Afrika Quer (German Edition)
nicht zueinander finden kann. Die Tochter, dargestellt von Hibo Mohammed, die in Somalia auch heute noch eine sehr beliebte Sängerin ist, spielte die Hauptrolle. Ihre Mutter war jedoch gegen die Hochzeit. Warum, habe ich nicht verstanden, aber dass zwei junge Leute nicht heiraten dürfen, ist in islamischen Gesellschaften ja ein nicht gerade seltenes Thema.
Für meinen Geschmack war das Stück auch etwas zu bemüht und mit etwas zu eindeutig erhobenem Zeigefinger vorgetragen. Ein Khatkauer konnte nicht mehr sprechen und nicht mehr gerade gehen. Lacher im Publikum. Eine Frau trat in Hosen auf. Der unsympathisch dargestellte Onkel des Mädchens war schockiert: „Was soll denn das sein, ein Mann etwa?“, fragte er ungläubig. Lautstarke Lacher im Publikum.
Der Vater des Mädchens warf buchstäblich mit Geld um sich und nahm sich ein junges Mädchen zur Geliebten. Später wurde sogar klar, sie war eine Prostituierte. Aber auch das war deutlich. So arg böse wurde die Prostituierte gar nicht dargestellt.
Und es wurde noch besser. Wahre Begeisterungsstürme löste aus, dass sie aufreizend tanzte, heftig mit den Brüsten schlackerte und ihren Liebhaber aufforderte: „Fass mich an, fass mich an!“
Die Reaktion des Publikums schien mir verlogen. Außer weißen Helferinnen habe ich in Hargeisa keine einzige Frau Hosen tragen sehen. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass die Mädchen im Kino je versucht hatten, so ein Kleidungsstück gegenüber ihren Brüdern, Vätern oder Onkeln durchzusetzen. Ja, eigentlich konnte ich mir noch nicht einmal vorstellen, dass sie je auch nur auf den Gedanken verfallen waren, es zu versuchen. Das war einfach kein Thema mehr im heutigen Somalia.
Vor dem Bürgerkrieg war das jedoch anders. Während der langen Abende in Mogadischu, in denen ich das Grundstück der Hilfsorganisation nicht verlassen durfte, bei der ich wohnte, fand sich garantiert immer einer, der das Somalia vor dem Bürgerkrieg noch kannte. Der von früher erzählte, wie weltlich das Land war, von den Partys in den Botschaften - mit Alkohol selbstverständlich - von den Diskotheken und den Restaurants am Meer.
Mit diesen Erzählern hatte ich immer nur Mitleid. Ihre Sentimentalität schob ich darauf, dass sie einfach nur zu viel getrunken hatten. Es machte keinen Sinn, etwas nachzuweinen, das es nicht mehr geben konnte. Aber als ich jetzt in diesem Kino saß, hatte ich die deutlich greifbare Vorstellung vor Augen, dass es einmal ein besseres Somalia gab, und dass ich den Fall dieses Landes wirklich tragisch fand.
Das Somalia unter der Regierung Siad Barres hat zumindest versucht, das Clan-System, die zivilisatorische Stufe der nomadischen Gesellschaft, zurückzudrängen. In den siebziger Jahren ließ die Regierung in öffentlichen Zeremonien jene Tafeln symbolisch beerdigen, die die Ahnenreihe der Clans symbolisieren.
Lange noch bevor ein Kind in Somalia in die Schule kommt, lernt es diese mythisch auf einen Clanstifter von der arabischen Halbinsel zurückgeführte Ahnenreihe auswendig.
Das Barre-Regime verbot die wichtigste Grundlage des Clansystems, die Kompensationszahlungen, das sogenannte Blutgeld. Alle Streitfälle mussten vor Gericht verhandelt werden. Und gegen den Widerstand des islamischen Establishments stärkte es die Rechte der Frauen.
Bei der Besetzung der Posten in Regierung und Armee hielt Siad Barre natürlich selbst sorgfältig den Clan-Proporz ein. Alles andere wäre eine Aufforderung gewesen, Clan-Allianzen gegen ihn zu bilden, ein Selbstmord mit Ansage.
Und natürlich ist Barre auch für den Ogaden-Krieg 1977/78 gegen den Erzfeind Äthiopien verantwortlich. Mit dem Angriff auf das Nachbarland begann sein Abstieg und der des gesamten Landes.
Und er ist auch verantwortlich für alles, was danach kam: Für den Bürgerkrieg im Norden während der gesamten achtziger Jahre und den darauffolgenden und daraus folgenden Bürgerkrieg aller gegen alle in Mogadischu Anfang der neunziger.
Aber im Rückblick sieht es heute einfach so aus, als führte sein Regime von Anfang an einen verlorenen Kampf gegen die traditionelle Gesellschaft. In Erinnerung bleibt jedoch nur der Diktator, der gewaltsam aus Mogadischu vertrieben, für den schon alles verloren, 1991 vom Süden her die letzten Panzer noch einmal rollen ließ, um das Land noch einmal in seine Gewalt zu bringen.
Das fand ich tragisch. Denn die wiehernden Teenager konnten das ganz sicher nicht verstehen. Hätten sie sonst das Stück sehen können,
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