Afrika Quer (German Edition)
seine Aufzählung, „Die Kinder haben Alpträume, zwanghaft wiederkehrende Erinnerungen; der Bürgerkrieg ist eine niederschmetternde Erfahrung; die Leute werden gewalttätig, haben schwere Depressionen; jeder hat irgendwelche Folgewirkungen; viele Leute sind noch immer im Krieg. Sie laufen mit einem Besenstiel in der Stadt herum und schießen auf jeden, der ihnen über den Weg läuft“, trug er eher im Tonfall eines Rezepts für ein leckeres Gericht vor als eine Liste psychischer Phänomene. Dr. Mohammed schien die Frage für unnötig, die Antwort für zu selbstverständlich zu halten. Als ob man danach überhaupt fragen müsste! Schnell war er mit seinen Gedanken schon wieder woanders und fragte mich, aus welchem Land ich stamme.
Dr. Mohammed hatte nicht übertrieben. Psychische Störungen wegen des Bürgerkrieges sind in Somaliland sehr weit verbreitet. Das konnte Dr. Hussein Bulhan bestätigen. Er wurde in den Vereinigten Staaten als Psychiater ausgebildet, hat dort unterrichtet, praktiziert jedoch seit einigen Jahren in Hargeisa. Eigentlich jede Großfamilie in Somaliland hat einen solchen Fall zu beklagen, sagte er mir. In vielen Häusern müssten gewalttätige Patienten an Fensterkreuze und Möbel gebunden werden, um sich selbst und ihre Familien zu schützen.
Dr. Mohammed nahm hinter dem großen Schreibtisch an der Stirnseite des Büros Platz. An der Wand hinter ihm hing ein großes Porträt des somaliländischen Präsidenten. Daneben das Poster eines dieser bei den Somalis beliebten, naiv-realistisch gemalten Bilder. Zwei Säuglinge waren darauf zu sehen. Einer streckte dem Betrachter proper und gutgelaunt eine Injektionsspritze entgegen.
Als Dr. Mohammed gerufen wurde, musste er noch mehr Leuten Bescheid gesagt haben. Denn nach und nach strömten nun mehr Ärzte und Krankenhausangestellte in das Büro des Chefarztes. Nach zehn Minuten waren der Konferenztisch und die abgenutzten Sofas an den Wänden fast vollständig besetzt.
„Hier ist jemand, der etwas über die Folgen des Bürgerkrieges wissen will“, rief Dr. Mohammed lachend in die Runde - so als sei das besonders witzig, dass sich jemand für seine Arbeit interessiert. Er forderte seine Kollegen auf, etwas über ihre Erlebnisse zu berichten.
Dr. Omar aus der chirurgischen Abteilung erzählte vom 31. Mai 1988, einem Tag der schweren Bombardierung Buroas durch die Truppen Siad Barres.
Das Büro war durch Jalousien an den Fenstern abgedunkelt, aber Dr. Mohammed setzte seine Sonnenbrille auf und schob sie auf seiner Nase hin und her wie vor einem Spiegel.
„ Die Artillerie beschoss die Stadt von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends. Ich arbeitete in einem Feldlazarett der Rebellen, draußen im Busch. Es gab zwei aufeinanderfolgende Fliegerangriffe auf die Stadt.“
Der eine Bügel von Dr. Mohammeds Brille war offensichtlich abgebrochen. Er fiel herunter. Dr. Mohammed schielte zur Freude seiner Kollegen durch die schief sitzende Brille.
„Bei einem wurde meine 16-jährige Schwester getötet“, fuhr Dr. Omar fort. „Sie wurde unter den Trümmern einer Hütte in unserem Hof begraben. Dort liegt sie noch immer.“
Offensichtlich war damit zum Thema kriegsbedingte Folgen alles gesagt, denn Dr. Mohammed erklärte nun der Runde, dass ich Journalist aus Deutschland sei, und dass ich noch mehr Fragen hätte.
Also fragte ich, welche Folgen der Khat-Genuss auf die Psyche hat?
Das Thema schien viel mehr Spaß zu machen. Jeder wollte nun mitreden, weil fast alle kauten, und wenn einer der Ärzte eine der Folgen erwähnte, dann sagte jemand sofort unter den Lachern aller, „Ja, das kenne ich!“ oder „Ja, das hatte ich auch schon!“
Die Ärzte nannten folgende Wirkungen: Euphorie, keinen Appetit, keine Müdigkeit, Schüttelfrost, sexuelle Erregung aber keine Potenz, Selbstüberschätzung, Schlafstörungen, akustische Halluzinationen, Alpträume und Depressionen.
Es sei nicht selten, dass starker Khatgenuss auch Psychosen auslöse, sagte Dr. Mohammed und brach in ein wieherndes Lachen aus. „Es gibt so viele Leute in Hargeisa, bei denen das einfach nur nicht diagnostiziert ist.“
Nuredin hatte mir auf der Fahrt zum östlichsten Punkt vom „Somalischen Film“ erzählt, vom unter jungen Männern in Bosasso weitverbreiteten Verfolgungswahn. Also fragte ich in die Runde, ob die Ärzte diesen Begriff auch kannten.
Sie kannten ihn nicht. Aber nach meiner Erklärung, was damit gemeint ist, sagte Dr. Mohammed, das Phänomen sei in Hargeisa
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