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Afrika Quer (German Edition)

Afrika Quer (German Edition)

Titel: Afrika Quer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Boehm
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kurz nach Dschibuti-Stadt.
    Der Zug fuhr nach dem Halt im Bahnhof gerade wieder an, als den Kontrolleur plötzlich einen seiner inzwischen bekannten Anfälle schüttelte. Mit großem Geschrei rannte er zur Notbremse. Theatralisch riss er den Hebel nach unten, aber der Zug fuhr ungehindert weiter. Konsterniert riss er den Hebel noch ein paar Mal nach oben und wieder herunter, stürmte dann zurück zu der jungen Frau, zerrte sie aus der Sitzbank und versuchte, sie aus dem fahrenden Zug zu stoßen. Aber sie hielt sich wacker. Sie klammerte sich an der Tür fest und machte ein fürchterliches Geschrei, so dass er schließlich von ihr ablassen musste.
    Die ganze Zeit war die Frau mit den Ziernarben in unserem Waggon gesessen. Doch erst jetzt erkannte sie der Schaffner wieder. Nachdem er offenbar der Meinung war, genug geschrien zu haben, boxte er sie mit voller Wucht auf die Stirn, so dass es wirklich weh getan haben muss. Die Szene spielte sich nur einen Meter vor mir ab. Ich konnte sie genau beobachten, und wie die Frau reagierte, habe ich bis heute nicht vergessen: Sie schluckte kurz und schaute einen Wimpernschlag lang ein bisschen verängstigt. Das war‘s. Sie zuckte nicht mit der Hand, um ihr Gesicht zu schützen, sie machte keinen Mucks, sie verlor kein Wort des Protestes, sie vergoss keine Träne. Nichts. So als ob sie ohnehin nur bekommen habe, was sie verdiente. Als ob damit nun die Fahrt bezahlt wäre.
    Salim sagte: „Die Beduinen kaufen nie eine Fahrkarte.“
    Bevor die junge Frau ausstieg, ließ ich ihn fragen, warum denn nicht. Sie sagte ein Wort und zuckte mit den Schultern.
    „ Einfach so.“, übersetzte Salim. Sie hatte den Faustschlag schon wieder vergessen.
    In Chinile, dem letzten Bahnhof vor Dire Dawa, waren die Frauen mit den vielen Säcken am Ziel ihrer Reise angekommen. Salim sagte, sie müssten hier aussteigen, weil Zöllner am Bahnhof in Dire Dawa noch einmal das Gepäck kontrollierten.
    Kaum hatte der Zug gehalten, zerrten die Frauen schon von überall ihre Säcke her. Sie arbeiteten in Teams. Ein Teil stand draußen vor Fenstern und Türen, die anderen drinnen, um die Säcke hinaus zu reichen. Das brauchte offenbar Abstimmung. Von draußen wurde nach drinnen gerufen, was noch fehlte. Und von drinnen nach draußen etwas anderes.
    Es war inzwischen dunkel geworden. Und weil natürlich das Licht im Zug nicht funktionierte, hatten Salim, sein Freund und ich aus Vorsicht unser gesamtes Gepäck auf den Schoß nehmen müssen.
    Die Rufe der Frauen schienen aus tausend Kehlen gleichzeitig zu kommen und waren so hoch und gehetzt, dass ich mir vorkam wie in einer riesigen Kolonie Seevögel, die um uns herum gelandet war. Wir konnten uns nicht unterhalten. Wir konnten nur dasitzen und lauschen und staunen und warten, bis das Schauspiel vorüber war.
    Nachdem die Frauen ausgestiegen, die schrillen Schreie abgeklungen waren, senkte sich eine tiefe Stille über den Zug. Wie einem überladenen Esel war ihm eine schwere Last vom Rücken genommen worden, und wir, seine Passagiere, konnten nun wieder freier atmen.
    Salim und sein Freund waren in Dire Dawa am Ende ihrer Reise angekommen. Ich hatte mich gleich gewundert, warum sie hier ihren Urlaub verbringen wollten. In der Stadt, die erst mit dem Bau der Eisenbahn gegründet wurde, gibt es nichts, in Dschibuti dagegen schöne Sandstrände.
    Es war einfach. In Dschibuti sind die Frauen anständig oder auf französische Soldaten fixiert. Die haben Geld. Also müssen die dschibutischen Männer dorthin gehen, wo sie es sind, die reich erscheinen.
    Eigentlich hatten wir unsere Zimmer im selben Hotel nehmen wollen. Aber die beiden konnten nicht mitkommen - weil Salims Vater schon dort wohnte. Er verbrachte hier seinen Urlaub. Er hatte seinen Frieden gefunden.

Seltsame Expatriates I: Arthur Rimbaud
    Am Anfang stand das Programm: „Mein Tag ist vollbracht, ich verlasse Europa. Die Seeluft wird meine Lungen verbrennen, die abgeschiedenen Gegenden werden mir das Fell gerben. Schwimmen, das Gras zermalmen, jagen, vor allem: rauchen, Branntwein trinken, heiß wie siedendes Metall – so wie es diese teuren Alten taten rings ums Feuer. Ich werde zurückkommen, mit Gliedern aus Eisen, dunkel die Haut mit grimmigem Blick, von meiner Maske her wird man auf eine starke Rasse schließen. Ich werde Gold besitzen, ich werde müßig sein und brutal. Die Frauen pflegen ja diese aus heißen Ländern zurückgekehrten verwilderten Krüppel. Ich werde ins politische Leben verwickelt

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