Afrika Quer (German Edition)
Steinen beworfen“, erklärte er wie selbstverständlich. „Möglicherweise werden wir in Deckung gehen müssen.“
Als ich mir später den Zug genau anschaute, sah ich die verrosteten Wunden von den Steinwürfen auf der Außenhaut der Waggons. Um die Fensterlöcher waren ganz viele. Für mich sah das so aus, als habe jemand versucht, auf die Fenster oder die Passagiere dahinter zu zielen.
Aber dann war es mit den Momenten der Erkenntnis auch schon vorbei. Erst in Addis Abeba habe ich nämlich erfahren, dass die Eisenbahnlinie gar nicht wirklich im Endzustand war, sondern noch etwas über dem Boden schwebte. Die französische Regierung hatte das System auf einen niedrigen Schemel gelegt.
Bruno Leclerc, Vertreter der französischen staatlichen Entwicklungshilfeorganisation AFD in Addis Abeba erklärte mir, es sei wohl wahr, dass die meisten Metallschwellen nicht mehr wie vorgesehen mit vier Bolzen, sondern nur noch mit einem oder zweien verankert seien. Deshalb wohl die schwankende Fahrt des Zuges und die Entgleisungen. Aber die AFD habe erst vor kurzem einige hergerichtete Diesel-Lokomotiven in Spanien und Portugal gekauft, damit der Schienenverkehr überhaupt aufrecht erhalten werden konnte.
Dschibuti ist der wichtigste Hafen für Äthiopien, einem Land mit fünfundfünfzig Millionen Einwohnern. Für den Güterverkehr könnte die Bahn eine entscheidende Rolle spielen. Deshalb, so Leclerc, erarbeitete die Europäische Union ein Konzept für ihre Privatisierung, und die große südafrikanische Bahngesellschaft hat ihr Kaufinteresse bekundet.
Deshalb saß Leclerc wie auf Kohlen. Er sah Gefahr im Verzug. Für ihn konnte der Verkauf nicht schnell genug über die Bühne gehen. Er wusste um die Fallhöhe. Er hoffte, die Eisenbahn konnte verkauft werden, bevor sie wieder auf dem Boden aufschlug.
ÄTHIOPIEN
Unter Schmugglern (Grenze – Dire Dawa – Harar)
Frédéric musste an der Grenze aussteigen, weil er kein dschibutisches Visum im Pass hatte und bei der Rückkehr aus Äthiopien nicht mehr hätte einreisen dürfen.
Deshalb setzte ich mich zu zwei jungen Soldaten der dschibutischen Armee, zu Salim und seinem Freund. Sie waren auf dem Weg nach Dire Dawa. Dort wollten sie Urlaub machen. Sie legten großen Wert darauf, dass ich wusste, sie sprechen Arabisch miteinander. Nicht Somalisch.
In Ali Sabieh, einem kleinen sandigen Städtchen kurz vor der äthiopischen Grenze, hatte eine wilde Meute den Zug gestürmt. Sie drängte in unseren Waggon, noch bevor jemand aussteigen konnte.
Es waren somalische Frauen. Das konnte man an ihren bunten Tüchern erkennen, die sie um Kopf und Leib geschlungen hatten. Ihre prallgefüllten Plastiktüten und Säcke stapelten sie hüfthoch vor den Zugtüren und lagerten sich selbst darauf, so dass jeder drübersteigen musste, der rein oder raus wollte.
Salim erklärte mir, die Frauen würden große Mengen Reis und Zucker in Dschibuti kaufen und nach Äthiopien bringen. Hinter der Grenze fingen sie an, kleine Säcke Zucker in größere umzufüllen. Und dann größere in noch größere.
Auf den Bänken im Gang uns gegenüber saßen auch drei Frauen mit Bergen von Säcken um sich herum. Es waren solche Säcke, wie ich sie schon in Dschibuti bei den Leuten gesehen hatte, die tagelang vor dem Bahnhof lagerten. Die Frauen waren schon dort mit uns eingestiegen, nicht erst in Ali Sabieh. „Beduinen“, sagte Salim mit einem abschätzigen Blick zu ihnen. Und der Fahrkartenkontrolleur blieb auch bei ihnen stehen und fing gleich an zu schreien.
Er war ein Choleriker. Wir hatten seine Anfälle schon ein paar Mal miterlebt. Zu Frédéric und mir war er unterwürfig freundlich, aber auf eine Frau in unserer Nähe hatte er die Soldaten in seinem Schlepptau gehetzt. Sie vermöbelten sie mit einem Schlagstock.
Nun schien er es auf die Frau unmittelbar mir gegenüber abgesehen zu haben. Ich hatte sie schon vorher beobachtet. Sie war vielleicht Mitte zwanzig. Sie hatte gelbe, durchdringende Katzenaugen und ein ebenmäßiges, schönes Gesicht. Auf ihren Wangen prangten drei kurze Ziernarben, wie auf einem Turnschuh. Daran konnte man ablesen, dass sie Somali aus dem Ostteil Äthiopiens war. Sie war barfuss, und sie roch nach Staub, aber ihre Tücher mit den rotgrünen Blumenmustern sahen sauber aus.
Erst nach dem Ende des Streits mit dem Schaffner erinnerte mich Salim daran, dass mir die junge Frau schon früher aufgefallen sein musste. Sie war das Opfer beim ersten Auftritt des Schaffners, schon
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