Afrika Quer (German Edition)
Details sind wichtig. Aber warum? Vielleicht mussten sie einfach Radio hören, damit man wusste, dass Samstag war. Oder ich brauchte dieses Symbol ländlicher Trägheit, um die Ruhe selbst intensiver genießen zu können.
Jetzt saß ich also unter dieser Akazie und fragte mich, wie zum Teufel ich mich in diese Situation hinein manövriert hatte? Was wollte ich eigentlich hier in dieser gottverlassenen Gegend? In einem Land, in dem ich für alle der „Chawatscha“, der Christ, ein komischer Vogel war? Wie um Himmels Willen war ich auf die Idee für diese Reise gekommen? Wie hatte es soweit kommen können, dass ich all diese Strapazen auf mich nahm, ja, dass ich vielleicht sogar mein Leben riskierte?
Was war aus meinem Leben geworden? Früher war ich doch eigentlich wie andere Kinder. Ich war gut in der Schule. Ich war beliebt. Ich hatte eine vielversprechende Zukunft vor mir. Ich hatte Spaß am Leben. Und ich musste es nicht riskieren, um das zu spüren.
Die anderen sind geblieben, wo sie waren, hatten inzwischen Frau und Kinder und ein Reihenhaus. Und sie schienen damit zufrieden. Nur ich konnte mich in dieses Leben nicht einpassen. Was war seitdem passiert? An welcher Stelle war eigentlich der Zug entgleist? Irgendetwas war schief gelaufen. Nur wann, bitteschön, war das?
Wir fuhren wieder bis spät in die Nacht. Als wir mitten im Busch anhielten, hörte ich aus der Ferne Trommeln und Singen. Deshalb sah ich vor meinem inneren Auge gleich ein ausgelassenes Fest; und weil wir in einer so abgelegenen Gegend waren, mit geheimnisvollen Riten und Bräuchen.
Ich schnappte mir einen der Radioträger, der eine Taschenlampe hatte, und marschierte mit ihm zusammen in die Richtung der Musik. Nach ein paarhundert Metern erreichten wir einen einzeln stehenden, von einem Palisadenzaun umgrenzten Hof. Alle Gäste waren in weißen, langen Roben gekleidet. Sie feierten eine Hochzeit. Drei junge Frauen saßen am Boden und trommelten auf leeren Kanistern. Andere, vor allem Männer und Kinder, klatschten dazu in die Händen und tanzten eine Art Polonaise.
Nachdem sie gesehen hatten, dass ich ein Weißer war, umringten sie mich sofort und berührten mich zärtlich. Es war schön. Ein kleines Bad in der Menge. Und sie lachten und schnatterten aufgeregt. Sie konnten ihr Glück kaum fassen, so einen unerwarteten Gast zu haben. Einer der Männer sagte zu mir auf Englisch: „Aber du spielst ja gar nicht!“
Ich reichte dem Radioträger meine Umhängetasche und fing an zu tanzen. Der Mann wollte, dass ich mich wohlfühlte, dass ich tanzte. Nur das konnte er mit „Spielen“ gemeint haben.
Schon in Nairobi habe ich gelernt, dass Spielen in Kisuaheli auf Erwachsene bezogen oft Sex bedeutet. Dass Erwachsene außerhalb von Sport und Monopoly auch noch spielen können. Nur diese Einsicht allein war es wert, nach Afrika zu gehen!
So war es oft in meiner Zeit dort. In der einen Minute war ich hingerissen, aber in der nächsten konnte ich schon wieder so wütend werden, dass ich explodieren, oder so betrübt, dass ich heulen wollte. Es war ein ständiges Auf und Ab. Vom luftigsten Gipfel fiel ich in die dunkelsten Täler und umgekehrt. In einem Moment schwor ich, dass ich hier nie weggehen würde. Zum Beispiel wenn ich gesehen hatte, wie herzlich sich zwei ganz normale alte Frauen am Markt begrüßten. Wie sie mit den Händen ausgeholt hatten, als gäb’s kein Morgen und sie zusammen patschten, dass es eine Art hatte. Und dann gleich darauf bedauerte ich das sofort wieder und dachte mir, lieber Gott, bring mich sofort weg von diesem verfluchten Kontinent.
Das konnte ausgelöst worden sein durch ganz alltägliche Handlungen wie ein Telefonat oder auf ein Amt zu gehen oder stundenlang auf jemanden zu warten, der einfach nicht kam.
Am vierten Tag spät in der Nacht erreichten wir Nyala, und am nächsten Morgen saß ich schon im Bus nach El Geneina.
Auf dem Weg nach Nyala hatten wir bestimmt ein Dutzend Raststätten passiert, wie ich sie schon aus Somalia kannte. Dort standen hunderte von kruden Bettgestellen aufgereiht. Die Rahmen waren aus Ästen zusammengeschnürt, und die wiederum mit Fellstreifen oder einer Wäscheleine bespannt. Die Betten waren im Höchstfall 1,40 Meter lang.
Im großen Museum von Karthum hatte ich ein genau solches Bett gesehen. Es stammte aus einer nubischen Kultur und war mehr als dreitausend Jahre alt. Es war genau so kurz, genau nach demselben Prinzip gebaut, nur viel kunstvoller gearbeitet.
In El Geneina
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