Afrika Saga 02 - Feuerwind
meinem Haus! Scher dich zum Teufel!«
Sie musterte ihn. Er benahm sich wie ein Büffel, der blindwütig auf jedes Hindernis losgeht. Nun, Afrika hatte sie gelehrt, wie sie sich in einer solchen Situation verhalten musste. Das oberste Gebot war, Ruhe zu bewahren, das zweite, keine Schwäche zu zeigen. »Mäßigen Sie sich doch, Onkel, oder möchten Sie, dass die ganze Straße Ihre Worte hört?«
Ihr Onkel warf ihr einen wilden Blick zu und stürzte zum Fenster, das tatsächlich halb geöffnet war, schloss es mit einem Knall, wirbelte herum und schlug ihr ins Gesicht.
Maria stolperte und tastete nach Halt, krümmte sich vornüber. Der Schlag hatte ihren gesamten Körper erschüttert. Noch nie hatte ein Mensch seine Hand gegen sie erhoben.
»Haltung«, hörte sie da die Stimme ihrer Mutter, ganz klar, als stünde sie neben ihr und befände sich nicht fünf Wochen entfernt an der Südspitze des afrikanischen Kontinents. »Haltung, Maria. Kopf hoch, Rücken gerade, Schultern zurück und dreimal tief durchatmen.«
Sie tat, wie ihre Mutter ihr es eingebläut hatte, und langsam fand sie zumindest äußerlich ihre Haltung wieder. »Ich werde Ihnen meine Entscheidung mitteilen«, beschied sie ihren Onkel, der noch am Fenster stand, beide Hände in den schweren Vorhängen verkrallt.
Maria warf den Kopf in den Nacken, presste die Lippen aufeinander und zwang sich, mit gemessenem Schritt zur Tür zu gehen.
»Such dir einen Mann«, schickte ihr der Onkel nach. »Ohne Mann sind Frauen keine Menschen, aber lass deine Finger von meinem Sohn, das sage ich dir. Geh zurück nach Afrika, es soll ja Männerüberschuss dort herrschen, da wird's schon noch einen passenden Mann geben, wenn dich überhaupt einer haben will. Wer will schon mit einer Hetäre verheiratet sein!«
Flüchtig stieg das Bild von Inqaba vor ihr auf, dem riedgedeckten, weißen Haus auf dem Hügel, das weite Land zu seinen Füßen, das sich bis zum Horizont erstreckte und jetzt am Ende des Winters honiggelb in der Sonne leuchtete, sie dachte an die wogenden, saftig grünen Zuckerrohrfelder, die ihr Vater an der Küste besaß, das paradiesische Stück Land einen Tagesritt nördlich von Durban mit dem sonnendurchfluteten, kleinen Haus, das sich hoch auf den Dünen über dem Meer duckte. Durch das Rauschen in ihren Ohren hörte sie ihren Vater lachen und ihre Mutter singen, hörte ihre Geschwister rufen und die sanften, kehligen Laute Jabisas, die ihr Leben vom ersten Tag begleitet hatten.
»Sie sind nicht reich genug, um das zu kaufen, was meine Familie besitzt, Onkel«, sagte sie mit dünner Stimme. Schon wollte sie den Raum verlassen, als sie sich noch einmal umwandte. »Im Übrigen ist eine Hetäre im ursprünglichen Sinn eine hoch gebildete, politisch einflussreiche Frau, und insofern fühle ich mich geschmeichelt.«
Sie drohte, ihre Fassung zu verlieren, schaffte es nicht, das Zimmer zu erreichen, das sie mit Luise während ihres Aufenthalts in Rostock teilte, sondern schlüpfte in die dunkle, nur von einer Kerze erhellte Bibliothek. Behutsam, um nichts von ihrem inneren Tumult zu verraten, schloss sie leise die Tür, ging zum Fenster und drückte ihr heißes Gesicht an die Scheibe.
Das Wetter war umgeschlagen, der Wind heulte um die Hausecken, und es goss wie aus Kübeln. Durch die Schlieren des Schneeregens sah sie nicht die tristen, regennassen Straßen im dünnen Licht der Straßenlaternen, die Bäume, die blätterlos in den schwarzen Himmel ragten, sondern sie sah die grüne Küste und den goldenen Strand ihres Heimatlands, sah das endlose Blau des Indischen Ozeans und im Dunstschleier der Ferne die sanften Hügel Zululands. Unvermittelt überfiel sie ein derartig starkes Verlangen, durch den weichen Sand zu laufen, den Seewind im Haar zu spüren und die afrikanische Sonne auf ihrer Haut, dass ihr die Tränen in die Augen schössen. Schluchzend riss sie das Fenster auf und kühlte ihr Gesicht in dem kalten Regen. Sie hatte nicht geahnt, dass Heimweh so schmerzen konnte.
Mit der flachen Hand schlug sie gegen den Fensterrahmen. Es klatschte und tat weh, aber es half. Ihre Tränen versiegten. Es reichte nun.
Mit ihrem Vorhaben, eine Hochschule zu besuchen, war sie gescheitert, es brachte nichts, sich etwas vorzumachen. Vage entsann sie sich, gehört zu haben, dass Frauen in der Schweiz und England studieren und promovieren konnten, aber sie war sich nicht sicher, und die Zeit, es herauszufinden, hatte sie nicht. Ludovig Mellinghoff hatte ihr sehr
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