After Moonrise (German Edition)
fertig war, fing er an zu gähnen und schob sie quasi zur Tür hinaus.
„Gehen Sie ruhig nach Hause“, sagte er, „Sie haben sich selbst übertroffen und mir einen Haufen Geld eingebracht. Jetzt will ich es zählen.“
Sie lachte und war überhaupt nicht beleidigt. Der Tag war zu wundervoll gewesen. Den Leuten hatten ihre Bilder gefallen. Sie hatten die Gemälde angesehen, und manche hatten Glück empfunden, manche Traurigkeit, andere waren sogar zu Tränen gerührt. Kein einziges Bild war übrig geblieben.
„Dann vergessen Sie nicht, meinen Anteil mitzuzählen“, entgegnete sie.
„Keine Angst. Den Scheck bekommen Sie morgen.“
Ihr wurde ganz warm vor Glück. „Danke, Cliff. Ich danke Ihnen so sehr.“
Er winkte sie hinaus. „Machen Sie schon. Raus.“
Die Ladenglocke läutete, als sie die Galerie verließ. Lächelnd suchte sie nach den Schlüsseln in ihrer Handtasche. Ihr Wagen war einen Häuserblock entfernt auf dem nahe gelegenen Parkplatz geparkt. Der Mond stand hoch am Himmel, hell leuchtend und so schön, dass sie kaum den Blick davon lösen konnte, während sie sich auf den Weg machte. Erst als sie stolperte und fast hinfiel, was ihre Knie und ihr Kleid ruiniert hätte, zwang sie sich dazu, geradeaus zu blicken.
Und trotzdem stolperte sie schon bald ein zweites Mal, als ein plötzliches Schwindelgefühl sie erfasste. Ihr Lächeln verblasste, und sie blieb stehen, um sich gegen eine Mauer zu lehnen. Was stimmte nicht mit ihr? Sie atmete langsam ein und aus und hoffte, das Gefühl würde von selbst vergehen. Aber natürlich wurde es nur noch schlimmer.
Sie konnte kaum noch etwas sehen, so sehr drehte, drehte, drehte sich alles. Panisch öffnete sie ihre Handtasche und tastete nach dem Handy. Kaum hatten sich ihre Finger um die harte Plastikhülle geschlossen, stach sie etwas scharf in den Nacken, und ein elektrischer Schock fuhr durch ihren ganzen Körper.
Ihre Muskeln verkrampften sich und wurden unbrauchbar. Ihr Rücken krümmte sich und ihre Knochen vibrierten, genauso unbrauchbar. Selbst ihr Kiefer zog sich zusammen und sperrte den Schrei in ihrer Kehle ein. Sterben, dachte sie, ich muss sterben.
Als die Vibrationen aufhörten, gaben ihre Knie unter ihr nach. Bebende Arme schlossen sich um sie, ehe sie auf dem Boden aufkommen konnte, und auf einmal schwebte sie. Erleichterung erfasste sie. Jemand hatte sie bemerkt und brachte sie ins Krankenhaus.
Irgendetwas knarrte.
Nein. Sie hatte sich geirrt. Jemand brachte sie in einen engen dunklen Raum. Die Luft war stickig, und der Duft von altem Parfüm hing darin. Harper blinzelte und versuchte sich zu orientieren. Ein blonder Mann beugte sich über sie, das Gesicht war undeutlich, da sie immer noch verschwommen sah. Etwas Weißes blitzte auf, vielleicht seine Zähne. Lächelte er?
„Wir beide werden so viel Spaß miteinander haben.“
Noch ein Knarren, lautes Rauschen. Klicken. Und dann nur noch Dunkelheit, keine Spur von Licht mehr. Keine frische Luft.
Noch ein Lichtblitz, und Harper stand wieder im Büro der Galerie, wo Cliff gerade ein Sandwich aß und an seinem Computer arbeitete. Wut stieg in ihr hoch. Wut, wie sie sie noch nie gekannt hatte. Der Champagner … Er musste ihr etwas eingeflößt haben.
Die Wut … wuchs … und wuchs …
Die Wände um sie herum fingen an zu beben. Eines der Bilder fiel mit einem lauten Knall zu Boden. Cliff runzelte die Stirn, legte sein Sandwich hin und sah sich um.
Er hatte gewusst, was mit ihr geschehen würde, und es war ihm egal gewesen. Wahrscheinlich hatte er durch die Fotos, die Topper geschossen hatte, jede Minute ihrer Folter genossen.
Sie wuchs …
Die Wände bebten noch stärker. Zwei weitere Bilder fielen.
Cliff sprang auf.
Solange Topper den Mund hält, wird man Cliff wahrscheinlich nie erwischen, überlegte Harper. Und warum sollte Topper seinen Kumpel ausliefern, wenn dieser Kumpel doch, solange er frei war, weiterhin Frauen quälen, davon Fotos machen, Bilder malen und sie ihm im Gefängnis zukommen lassen konnte?
Sie wuchs … und wuchs …
Das ganze Gebäude wurde in seinen Grundfesten erschüttert. Cliff hielt sich an seiner Schreibtischplatte fest. Ein dünner Schweißfilm stand auf seiner Stirn. Harper sehnte sich danach, eines der Gemälde zu packen und damit auf ihn einzuprügeln. Aber sie konnte ihn nicht anfassen, und auch die Gemälde nicht, denn sie war tot. Tot.
Tot!
Eines der Gemälde flog von der Wand und traf ihn mitten gegen den Hinterkopf. Er stöhnte vor
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