After Moonrise (German Edition)
grober Tonfall riss sie aus ihren Gedanken. Anscheinend hatte er keine Lust mehr, sie beim Namen zu nennen, oder auch nur beim omahaften „Ma’am“, weswegen er jetzt zu Kosewörtern überging, die in seinem Mund eher wie Schimpfnamen klangen.
„Nein“, sagte sie, nur um ihn zu ärgern, „ich bin nicht dein ‚Kleines‘. Ich habe doch gesagt, ich heiße Harper.“
Er zog eine schwarze Augenbraue fast bis an den Haaransatz hoch, und einen Augenblick lang schien es, als wäre er amüsiert und nicht vorwurfsvoll. „Ist das ein Vor- oder Nachname?“
„Ist das wichtig?“
„Ja.“
Sie schüttelte den Kopf und schöpfte Kraft aus der Verärgerung, die sie schon ihr ganzes Leben lang begleitet hatte. Ihre Mutter hatte sie nach einer Märchenprinzessin getauft und erwartet, dass Harper ihrer Namenspatin nacheiferte. Jahrelange Kurse in Manieren und Benehmen, gefolgt von jahrelanger Teilnahme an Schönheitswettbewerben, die sie verachtete, hatten ihr fast allen Kampfgeist genommen. Fast. „Ich werde dir den Rest meines Namens jedenfalls nicht verraten. “ Er würde sie auslachen; er würde sie ärgern.
Er zuckte mit den umwerfend breiten Schultern. „Der lässt sich ganz einfach herausfinden. Ein paar Anrufe, und das war’s. “ Er hielt inne, wohl weil er annahm, dass sie ihm diese Mühe abnahm.
„Ich werde ihn dir nicht freiwillig verraten, du wirst also deine Anrufe erledigen müssen.“
Ein herausforderndes Funkeln trat in seine grünen, grünen Augen. „Also gut. “ Er stützte sich mit den Ellenbogen auf den Knien ab und beugte sich weiter vor, sodass sie seinen Duft nach Zahnpasta und Waffenöl noch intensiver wahrnahm. Düfte, die sie offenbar wirklich gern mochte, wenn man nach ihrem beschleunigten Pulsschlag ging.
„Fangen wir wieder von vorn an. Erzähl mir noch einmal, was du zu malen glaubst. “ Er fragte sie das jetzt schon zum dritten Mal. Sie hatte genug Krimis gesehen, um zu wissen, dass er nach Unterschieden zwischen der ersten und jeder weiteren Aussage suchte. Wenn er einen Widerspruch fand, konnte er sie als Lügnerin abtun.
„Solltest du dir nicht Notizen machen?“, zögerte sie ihre Antwort hinaus.
„Nein.“
„Du könntest vergessen …“
„Ich vergesse nie etwas.“
„Nie?“
„Nicht solche Dinge.“
Wie spannend. „Wirklich? Weil, es ist …“
„Rede“, fuhr er sie an.
Sein Ausbruch verlieh ihr die Kraft zu gehorchen. „Okay. “ Sie schloss die Augen und zwang sich, sich an ihr Gemälde zu erinnern. „Da ist eine kalte Metallplatte, Stahl, glaube ich, und überall klebt getrocknetes B-blut. Oben und unten sind Schellen, die eine Frau an Händen und Füßen an die Platte fesseln. Auch die sind voller … Flecken. In der Platte und im Boden sind Löcher … Abflüsse, glaube ich, und auch voller Flecken. Da ist ein Mann. Er hält ein Messer über den Bauch der Frau. “ Jedes Wort ließ ihr Herz schneller klopfen und trieb ihr kleine Schweißtropfen auf die Stirn. Schweiß, und doch war ihr Blut gefroren.
„Beschreib den Mann.“
„Ich kann nicht. “ Ihre Lider flatterten, als ein Schauder ihren Körper schüttelte. Eine Welle der Übelkeit ließ ihren Magen sich zusammenkrampfen, was in letzter Zeit häufig vorkam. „Ich habe sein Gesicht nie gemalt. “ Sie war sich nicht sicher, ob sie es sehen wollte. Allein der Gedanke daran sorgte dafür, dass sie sich weinend unter ihrer Decke verstecken wollte.
„Und was hast du von ihm schon gemalt?“
„Seinen Unterkörper. Die Arme. Etwas von seiner Brust.“
„Und was hat er an?“
Gute Frage. Sie war so darauf konzentriert gewesen, was auf dem Bild geschah, dass sie nicht auf solche Details geachtet hatte. Anscheinend hatte ihr Unterbewusstsein es trotzdem gespeichert. „Ein weißes Hemd und schwarze Stoffhosen.“
„Könnte ein Geschäftsmann sein. Handschuhe?“
„Nein.“
„Ist er weiß, schwarz, dunkelhäutig, oder was?“
„Braun, aber heller als du.“
„Okay, dann beschreib jetzt die Frau.“
„Kann ich nicht“, sagte sie nur noch flüsternd. Sie legte sich eine Hand auf den Bauch, um die Übelkeit wenigstens ein bisschen zu beruhigen. „Nicht ihr Gesicht, meine ich. Sie ist nackt, und sie hat blasse Haut.“
„Hat sie irgendwelche Leberflecken oder Narben?“
Harper befeuchtete sich die Lippen, stellte sich die Frau vor und schüttelte den Kopf. „Zumindest habe ich keine gemalt.“
Sein Blick richtete sich wieder auf sie, intensiver als zuvor und irgendwie, naja,
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