After Moonrise (German Edition)
der Luft zwischen ihnen, während das Terpentin immer mehr in den Hintergrund trat. Dann nahm er den Becher, stellte ihn hin und ging so dicht auf sie zu, dass sie zurückwich, bis sie gegen die Schränke hinter sich stieß.
Sie blickte zu ihm auf, die ozeanblauen Augen so tiefgründig … und so bedrückend. In diesem Augenblick erinnerte sie ihn an eine Fee mit gebrochenem Flügel.
Gebrochen. Da war wieder dieses Wort.
Seine Muskeln verspannten sich wieder …
Seiner Erfahrung nach hatte jeder Geheimnisse. Harper war da offensichtlich keine Ausnahme. Er erinnerte sich an den Tag, an dem sie eingezogen war. Sie hatte die ganze Zeit den Blick gesenkt, doch die langen blassen Wimpern hatten die tiefen Schatten darunter nicht verbergen können. Ihre Wangen hatten damals hohl ausgesehen, und jedes Mal, wenn sich ihr jemand genähert hatte, hatte sich ihre ganze Haltung versteift. Wow, er hatte doch eine Menge mitbekommen dafür, dass er sich verboten hatte, sie zu beobachten.
„Du hast fünf Sekunden, um endlich zu reden“, sagte er in groberem Tonfall als beabsichtigt. Es gab keinen Grund, ihr auch noch den anderen Flügel zu brechen, aber verflucht noch mal, sein Instinkt, alles zu beschützen, was schwächer war als er, regte sich inzwischen. Alles in ihm protestierte bei dem Gedanken, dass jemand ihr wehgetan haben könnte. „Was – willst – du – hier?“
Sie schluckte und zitterte noch stärker. „Darf ein Mädchen einen Mann nicht erst einmal kennenlernen, ehe sie ihn um einen Gefallen bittet?“
„Nein. “ Ausweichen hatte bei ihm noch nie funktioniert. „Hast du irgendwelchen Ärger?“
Ihre Wangen färbten sich dunkelrot, während der Rest von ihr kreidebleich wurde. „Das nicht gerade, nein. “ Sie sprach leiser, Gefahr verbarg sich unter diesen seidigen Tönen der … Angst? Ja, eindeutig Angst. Und sie konnte ihm nicht länger in die Augen sehen.
Sanfter fragte er: „Was bedeutet ‚nicht gerade‘?“
Und schon wieder steckten ihre Nägel zwischen ihren Zähnen. „Es heißt, du bist Detective beim OKCPD.“
„Bin ich. “ Es gab keinen Grund, seinen Zwangsurlaub zu erwähnen.
Endlich sahen ihn die meerwasserblauen Augen wieder an, so schön und klar, dass es ihm tatsächlich die Kehle zusammenzog. „Was für ein Cop bist du genau?“
„Ein Detective, wie schon gesagt.“
„Darauf kommt’s doch nicht an. Marke ist Marke, oder? Was ich meinte, war, bist du ein Guter oder ein Böser? Geht es dir um Gerechtigkeit, egal was es kostet, oder willst du einfach nur deinen Fall abschließen?“
Er presste die Zähne zusammen und rief sich in Erinnerung, dass er ein ruhiges und vernunftbegabtes Wesen war (mit einer Waffe) und sie ihn und seine Kollegen wahrscheinlich nicht absichtlich beleidigt hatte.
„Harper“, rügte er sie kurz, indem er ihren Namen wie ein Schimpfwort aussprach. Er hätte sie wieder „Ma’am“ nennen sollen, aber nach ihren Witzeleien darüber, wie er wahrscheinlich an seine Wohnung gekommen war, waren solche Formalitäten vom Tisch. „Ich bin kurz davor, dich wegen Trunkenheit in der Öffentlichkeit zu verhaften, weil nur Besoffene so einen Mist reden.“
Sie seufzte erleichtert auf. „Ein Guter also. Sonst hättest du versucht, mich zu überzeugen, wie gut du tatsächlich bist, statt beleidigt zu sein.“
„Harper.“
Sie schluckte. „Okay. In Ordnung. Ich habe dir gesagt, dass ich Malerin bin, richtig?“
„Eine unglaubliche Malerin.“
Sie hob das Kinn, und für den Augenblick waren die bedrückenden Geheimnisse aus ihrem Blick verschwunden, und ein beleidigter Ausdruck lag darin. „Ja, bin ich auch“, sagte sie, wieder die Fingernägel im Mund. „Wie dem auch sei, ich… äh … ähmmm. Ich wusste, dass es schwer wird, aber das ist schlimmer als damals, als ich Stacy DeMarko sagen musste, dass ihr Hintern in den Jeans tatsächlich fett aussieht.“
Nicht lustig. Er legte die Finger um ihr Handgelenk und zog die Hand vom Mund weg.
Der Kontakt schien ihr einen Schlag zu versetzen, denn sie keuchte auf. Auch er fühlte den Schlag. Ihre Haut war unglaublich zart, herrlich warm, wie ein Traum. Ihr Puls schlug schnell und unregelmäßig, liebkoste ihn mit jedem Pochen. Er ließ sie los und trat einen Schritt zurück.
„Letzte Chance, Harper. Sag, was du zu sagen hast. Nur so bekommst du, was du willst.“
Sie rieb sich den anmutigen Hals, ein Abbild weiblicher Eleganz, und flüsterte: „Ich male da an etwas … aus der Erinnerung,
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