After Moonrise (German Edition)
gehalten.“
„Dazu hätte es Nerven aus Stahl gebraucht.“
„Ich poliere meine jeden Abend. Und?“
Wieder genau das, was er erwartet hatte. Er versuchte nicht zu grinsen, während er sagte: „Ich wollte dich nur daran erinnern, dass du welche hast. “ Dann griff er ihre Hand, nahm ihr mit der anderen das Gemälde ab und zog sie zum Eingang.
Während sie den Gehsteig überquerten, hörte er, wie sie leise betete: „Herr, gib mir die Kraft zu hören, was ich hören muss, und zu tun, was ich tun muss. Danke.“
Eine Glocke erklang, als sie das Gebäude betraten. Leise Musik spielte im Hintergrund. Es war bedeutend wärmer hier drin, statt neblig und kalt war es trocken und schweißtreibend heiß. Der Duft von Räucherstäbchen hing in der Luft, süß und würzig und irgendwie gleichzeitig angenehm und abstoßend. Seine Nasenlöcher brannten, aber er ertrug es, wie man ein notwendiges Übel eben ertrug.
Er sah sich um und nahm jedes noch so kleine Detail wahr. Es gab einen Empfangstresen, einen langen Tisch mit Kaffee und Erfrischungen und ein Wartezimmer mit großen, gemütlich aussehenden Sesseln.
Sechs Leute – vier Männer und zwei Frauen – warteten in diesen Sesseln, aber nur ein kleines dunkelhaariges Mädchen, das auf dem Schoß seiner Mutter saß, beachtete Harper und ihn. Es lächelte und winkte, und Levi winkte ganz bezaubert zurück. Die Mutter sah zu ihm hin, runzelte die Stirn und ermahnte dann ihre Tochter sanft, sie solle sich benehmen und sich um ihren eigenen Kram kümmern.
Die Frau an der Rezeption war abwechselnd damit beschäftigt, ans Telefon zu gehen und etwas in ihren Computer zu tippen. Sie war Mitte fünfzig, hatte die Haare pechschwarz gefärbt und trotz ihrer sonnengegerbten Haut sehr hübsche Gesichtszüge. Sie sah auf, als Harper und er sich näherten …
Und kreischte laut.
Sie presste sich eine flatternde Hand aufs Herz und sprang auf. „Was wollen Sie hier?“
Er war es gewohnt, Leuten einen Schreck einzujagen, so grimmig und ernst, wie er immer aussah. Aber Kreischen und Vorwürfe auf den ersten Blick, obwohl er nicht einmal seine Waffe gezogen hatte? Das war neu.
„Ist schon okay, Mommy“, hörte er das kleine Mädchen sagen, „er tut niemandem weh. Er sieht nur so schlimm aus.“
„Ich bin Detective Reid, OKCPD“, sagte er laut und hoffte, damit die Menschen im Wartezimmer zu beruhigen, die angefangen hatten, aufgeregt zu murmeln. Etwas leiser fuhr er fort: „Milana Bonnie Wee Cutie soll Sie angerufen haben, um uns anzukündigen. Wir haben ein paar Fragen an die Person, deren Aufgabengebiet es ist …“ Wie genau sollte man erklären, was mit Harper Merkwürdiges vor sich ging? Oder mit ihm selbst, wenn man schon mal dabei war?
„Lana arbeitet für die Filiale in Oklahoma City“, platzte Harper heraus. Wenigstens hatte sie die Hände gesenkt und kaute nicht an ihren Nägeln.
Die Rezeptionistin atmete erleichtert auf. „Ah, ja. Ja. Ich – ich erinnere mich an den Anruf. Ich habe nur nicht damit gerechnet …“ Sie deutete mit einer Hand auf ihn. „Naja, damit.“
Damit. „Was stimmt damit nicht?“, knurrte er.
„Sie sind keine kleine Blonde mit großer Klappe, oder?“, fuhr sie ihn an. „Man hat mir gesagt, ich soll eine kleine Blonde mit großer Klappe erwarten.“
„Nun, das wäre dann wohl ich“, murmelte Harper. „Also, Folgendes. Ich male eventuell die Zukunft, und Lana dachte, Sie können mir helfen. Außerdem gibt’s da noch ein paar andere Dinge, wegen denen wir langsam austicken. Zum Beispiel hat Levis Apartment über Nacht die Einrichtung gewechselt, obwohl er nichts damit gemacht hat und es für ihn auch immer noch gleich aussieht. Diese Agentur hat sich auf Paranormales spezialisiert, oder? Nun, nichts, was uns in letzter Zeit passiert ist, kann man als normal bezeichnen, und ich will Antworten. Am besten gestern.“
Die Frau sah von einem zum anderen, immer noch ganz blassim Gesicht, aber sie schien sich langsam zu beruhigen. „Bitte … bleiben Sie einfach, wo Sie sind. “ Sie ließ sie für keinen Augenblick aus den Augen, während sie nach dem Telefonhörer griff. Eine geflüsterte Unterhaltung folgte, und Levi glaubte, etwa tausend Mal „Ich weiß es nicht“ zu hören. Endlich legte sie den Hörer auf und sagte: „Agent Peterson kümmert sich gleich um Sie.“
Sekunden später stapfte ein riesiger Mann mit finsterer Miene aus dem Aufzug. Ein kleinerer Mann, die Arme voller Akten, versuchte verzweifelt mit ihm
Weitere Kostenlose Bücher