Afterdark
die 1000-Yen-Scheine einen nach dem anderen vom Boden auf. Sie bündelt sie, faltet sie zusammen und steckt sie in die Tasche. Sie holt tief Luft und fährt sich mit der Hand durch das kurze blonde Haar. »Verdammt noch mal«, sagt sie.
4
00:37 Uhr
Eri Asais Zimmer.
Im Zimmer hat sich nichts verändert. Nur die Gestalt des Mannes auf dem Stuhl ist näher herangeholt als vorher. Wir können die Person jetzt ziemlich deutlich sehen. Der Empfang ist noch etwas gestört, immer wieder wabert das Bild, die Konturen sind verzerrt, und die Bildqualität ist schwach. Auch das durchdringende Geräusch hat sich verstärkt. Alle Augenblicke drängt sich zusammenhanglos ein anderes Bild dazwischen, aber das Durcheinander wird sofort behoben und das ursprüngliche Bild kehrt zurück.
Eri Asai liegt noch immer still in ihrem Bett und schläft ganz tief. Durch das künstliche Licht aus dem Fernsehapparat huschen flimmernde Schatten über ihr Profil, aber sie können ihren Schlaf nicht stören.
Der Mann auf dem Bildschirm trägt einen dunkelbraunen Businessanzug. Wahrscheinlich war es einmal ein schöner, eleganter Anzug, aber jetzt wirkt er abgetragen und schäbig. An den Ärmeln und am Rücken haftet weißer Staub. Auch die schwarzen, vorne abgerundeten Lederschuhe, die der Mann trägt, sind staubig. Ob er durch einen sehr staubigen Ort in dieses Zimmer gekommen ist? Er trägt ein gewöhnliches weißes Oberhemd und eine ungemusterte schwarze Wollkrawatte. Das Hemd und die Krawatte wirken gleich trist. Seine Haare sind grau meliert. Oder nein, sie sind nicht grau, wahrscheinlich hat er schwarze Haare, auf denen heller Staub liegt. Wie dem auch sei, der Mann scheint sich schon länger nicht richtig gekämmt zu haben. Dennoch macht seine ganze Erscheinung seltsamerweise keinen ungepflegten Eindruck. Er wirkt auch nicht schäbig. Seine Erschöpfung und seine staubige Kleidung haben irgendeinen zwingenden Grund.
Sein Gesicht ist nicht zu sehen. Zurzeit nimmt die Fernsehkamera ihn entweder von hinten auf oder zeigt nur andere Partien seines Körpers, ohne das Gesicht. Ob es am Einfallswinkel des Lichts liegt oder ob eine Absicht dahinter steht, sein Gesicht liegt völlig im Dunkeln und ist für unsere Augen nicht sichtbar.
Der Mann bewegt sich nicht. Hin und wieder stößt er einen langen Seufzer aus, bei dem sich seine Schultern leicht heben und senken. Er wirkt wie ein Gefangener, der schon lange in diesem Zimmer eingesperrt ist. Tiefe Resignation geht von ihm aus. Dabei ist er nicht etwa gefesselt. Er sitzt einfach nur aufrecht auf dem Stuhl, atmet ruhig und starrt auf einen Punkt vor sich. Bisher ist nicht zu erkennen, ob er sich aus freien Stücken nicht bewegt oder sich aus irgendeinem Grund nicht bewegen kann. Seine beiden Hände ruhen nebeneinander auf den Knien. Die Uhrzeit ist unklar. Wir wissen nicht, ob es Tag ist oder Nacht. Dank der Neonröhren an der Decke ist es im Zimmer jedoch so hell wie an einem Sommernachmittag.
Kurz darauf schwenkt die Kamera herum und zeigt das Gesicht des Mannes direkt von vorn, was jedoch keinen Aufschluss über seine Identität gibt. Eher wird die Sache noch rätselhafter, denn sein Gesicht ist von einer halbtransparenten Maske bedeckt. Wie ein Film legt sie sich darüber, sodass man zögert, sie als Maske zu bezeichnen. Andererseits erfüllt sie, so dünn sie ist, voll und ganz ihren Zweck. Hell glänzend reflektiert sie das Licht, verbirgt jedoch die Züge und den Ausdruck des Mannes vollkommen. Die Umrisse seines Gesichts sind nur zu erahnen. Nicht einmal Öffnungen für Nase, Mund und Augen hat die Maske, scheint aber licht- und luftdurchlässig zu sein, denn offenbar ist es ihm möglich zu atmen, zu sehen, zu hören und so fort. Aus welchem Material und mit Hilfe welcher Technik diese anonyme Haut gefertigt wurde, ist nicht ersichtlich. Die Maske hat einen gewissen Zauber, ist aber auch funktional. Sie vermittelt sowohl etwas vom Dunkel vergangener Zeiten als auch vom Licht der Zukunft.
Das wirklich Unheimliche an der Maske ist, dass man, obwohl sie das Gesicht so perfekt überzieht, nicht die geringste Vorstellung von den Gedanken, Gefühlen und Absichten des Menschen dahinter hat. Es gibt keinen Anhaltspunkt, aus dem man schließen könnte, ob die Existenz des Mannes etwas Gutes oder etwas Schlechtes ist, ob seine Gedanken aufrichtig sind oder pervers, ob die Maske dazu dient, ihn zu verbergen oder zu schützen. Ein Mann mit einer perfekten Maske der Anonymität über dem
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