Afterdark
Filter aus ihrer Stadionjacke und zündet sie mit einem BIC-Feuerzeug an.
»Du rauchst ja«, sagt Kaoru verblüfft.
»Hin und wieder.«
»Ehrlich gesagt, das passt nicht besonders zu dir.« Mari errötet und lächelt ein wenig verlegen. »Kann ich auch eine haben?«, fragt Kaoru. »Bitte.«
Kaoru steckt sich die Camel zwischen die Lippen, nimmt Maris Feuerzeug und zündet sie an. Die Zigarette steht ihr wirklich viel besser.
»Hast du einen Freund?«
Mari schüttelt kurz den Kopf. »Im Augenblick interessiere ich mich nicht für Jungs.«
»Mehr für Mädchen?«
»Das auch nicht. Ich weiß nicht genau.«
Kaoru lauscht der Musik und raucht. Ihr Körper ist kräftig, aber ihr Gesicht wirkt etwas müde.
»Ich wollte dich vorhin schon danach fragen«, sagt Mari. »Wieso heißt das Hotel eigentlich >Alphaville«
»Tja, warum? Wahrscheinlich hat unsere Chefin es so genannt. Eigentlich spielt der Name bei einem Love Hotel keine Rolle. Letzten Endes kommen die Männer und Frauen ja nur, um es zu tun. Ein Bett und ein Bad genügen, um den Namen kümmert sich niemand. Es reicht, wenn er einigermaßen gut klingt.«
»Alphaville war der erste Film, der mich beeindruckt hat. Von Jean-Luc Godard.«
»Nie gehört.«
»Ein uralter französischer Film. Aus den sechziger Jahren.«
»Dann haben sie es wohl danach benannt. Wenn ich die Chefin das nächste Mal sehe, frage ich sie. Was bedeutet >Alphaville«
»Es ist der Name einer fiktiven Zukunftsstadt«, sagt Mari.
»Einer Stadt irgendwo in der Milchstraße.«
»Also ein Science-Fiction-Film? So wie >Star Wars«
»Nein, eigentlich nicht. Keine Spezialeffekte oder Action ... ich kann's nicht gut erklären, ein Ideenfilm oder so. In Schwarz Weiß, es wird viel gesprochen, wie im Theater.«
»Ein Ideenfilm?«
»Zum Beispiel werden in Alphaville die Menschen, die Tränen vergießen, verhaftet und öffentlich bestraft.«
»Warum?«
»Weil man in Alphaville keine tieferen Gefühle haben darf Deshalb gibt es dort auch keine Liebe und so was. Es gibt weder Widersprüche noch Ironie. Alles wird in Formeln ausgedrückt und zentral geregelt.«
Kaoru runzelt die Brauen. »Was heißt Ironie?«
»Menschen betrachten sich und die Dinge, die sie betreffen, mit einem objektiven Blick, oder sie betrachten sie von der entgegengesetzten Seite und bringen das Komische daran zum Vorschein.«
Kaoru denkt kurz über Maris Erklärung nach. »Ich verstehe das nicht genau, aber gibt es in diesem Alphaville Sex?«
»Ja.«
»Sex ohne Gefühle und ohne Ironie?«
»Genau.«
Kaoru lächelt amüsiert. »Ein toller Name für ein Love Hotel, wenn man sich's überlegt.«
Ein schlanker gut gekleideter Gast in mittleren Jahren betritt das Lokal, setzt sich an die Theke, bestellt einen Cocktail und unterhält sich leise mit dem Bartender. Er scheint Stammgast zu sein. Immer der gleiche Platz, immer das gleiche Getränk. Einer von vielen, der in der nächtlichen Großstadt haust und dessen wahres Gesicht keiner kennt.
»Und du warst Profi-Ringerin?«, fragt Mari.
»Ach, das ist lange her. Weil ich kräftig gebaut war und mich gerne herumprügelte, wurde ich in der Oberschulzeit entdeckt. Ich gab mein Debüt und spielte von da an die Schurkin. Mit grellblonden Haaren, rasierten Augenbrauen und einem roten Skorpiontattoo auf der Schulter. Im Fernsehen bin ich auch öfter aufgetreten und zu Kämpfen nach Hongkong und Taiwan gereist. Es gab sogar einen kleinen Fanclub hier. Du hast sicher noch kein Frauenringen gesehen?«
»Bis jetzt noch nicht.«
»Auch ein schweres Geschäft. Am Ende bekam ich Rückenprobleme, und mit neunundzwanzig musste ich aufhören. Weil ich immer aufs Ganze gegangen bin, hat mein Körper irgend wann nicht mehr mitgemacht. Egal wie robust eine ist, irgendwann ist eine Grenze erreicht. Aber wenn ich was mache, dann mache ich es richtig. Das liegt in meiner Natur. Außerdem fand ich, dass ich das den Zuschauern schuldig war, und wenn sie mich anfeuerten, habe ich instinktiv mehr gegeben als nötig. Deshalb habe ich heute, wenn es länger regnet, ständig Schmerzen im Rücken. Dann kann ich nichts anderes machen, als einfach nur ruhig daliegen. Es ist ein Elend.« Kaoru verdreht den Hals, bis etwas darin laut knackt. »Als ich populär war, habe ich gut Geld verdient und hatte jede Menge Freunde, aber als ich aufhörte, ist so gut wie nichts übrig geblieben. Ich war total pleite. Als treu sorgende Tochter hatte ich meinen Eltern zwar ein Haus auf dem Land in den
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