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Afterdark

Afterdark

Titel: Afterdark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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denen sie eine der chinesischen Prostituierten reicht, die sie wieder mit förmlichem Dank entgegennimmt. Wegen ihrer aufgeplatzten Lippen scheint es ihr schwer zu fallen, den heißen Tee zu trinken, denn sie verzieht bei jedem Schluck das Gesicht.
    Kaoru spricht sie auf Japanisch an. »Du hast aber auch Pech. Da kommst du den ganzen weiten Weg heimlich nach Japan, und dann wirst du von solchen Typen ausgesaugt. Ich weiß ja nicht, wie du in deiner Heimat gelebt hast, aber meinst du nicht, du wärst besser nicht hergekommen?«
    »Soll ich das übersetzen?«, fragt Mari.
    Kaoru schüttelt den Kopf. »Nicht nötig. Hab nur ein Selbstgespräch geführt.«
    »Ni ji sui le? (Wie alt sind Sie?)«, fragt Mari die Prostituierte. »Shijiu. (Neunzehn).«
    »Wo ye shi. (Genau wie ich.) Jiao shenme mingzi. (Wie heißen Sie?)«
    Nach kurzem Zögern antwortet die Prostituierte. »Guo Dong Li.«
    »Wo jiao Ma Li. (Ich heiße Mari.) «
    Mari lächelt der Frau ein wenig zu. Es ist nur ein kleines Lächeln, aber es ist Maris erstes in dieser Nacht.
    Ein Motorrad hält vor dem Hotel »Alphaville«. Es ist eine schwere drohende Honda. Der Fahrer hat einen Integralhelm auf. Um notfalls sofort losfahren zu können, lässt er den Motor laufen. Er trägt eine enge schwarze Lederjacke und Blue Jeans, hohe Basketballschuhe und dicke Handschuhe. Der Mann nimmt den Helm ab und legt ihn auf den Tank. Nachdem er aufmerksam die Umgebung sondiert hat, zieht er einen Handschuh aus, holt ein Handy aus der Tasche und wählt. Der Mann ist ungefähr dreißig, hat braunes Haar und einen Pferdeschwanz. Seine Stirn ist breit, sein Blick scharf, die Wangen sind eingefallen. Nach einem kurzen Gespräch legt er auf und steckt das Handy wieder in die Tasche. Er zieht den Handschuh an und wartet.
    Kaoru, Mari und die Prostituierte treten vor den Eingang. Müde schlappt die Chinesin in ihren Gummilatschen auf das Motorrad zu. Die Temperatur ist gefallen, und wahrscheinlich friert sie in dem Trainingsanzug. Der Mann mit dem Motorrad sagt in schneidendem Ton etwas zu ihr, und sie antwortet leise.
    Kaoru wendet sich an den Mann. »Also, hör zu, wir haben das Geld für das Zimmer noch nicht bekommen.«
    Der Mann mustert Kaoru einen Moment. »Wir zahlen nicht für die Zimmer«, sagt er dann. »Das machen die Freier.« Der Mann hat keinen Akzent. Seine Stimme ist flach und ausdruckslos.
    »Das weiß ich«, sagt Kaoru rau und räuspert sich. »Aber wir leben doch hier auf engem Raum und betreiben ein ähnliches Geschäft. Der Vorfall war auch für uns ein Ärgernis. Es war Gewalt im Spiel und jemand wurde verletzt, da hätte ich schon lieber die Bullen angerufen. Aber das wäre doch bestimmt unangenehm für euch geworden? Wenn ihr mir also vorläufig 6800 Yen für das Zimmer gebt, sind wir quitt. Das Bier übernehme ich. Geteiltes Leid.«
    Der Mann mustert Kaoru mit einem kalten Blick. Dann sieht er nach oben auf den Neonschriftzug über dem Hotel. »Alphaville.« Er zieht seinen Handschuh wieder aus, nimmt eine lederne Brieftasche aus seiner Jacke, nimmt sieben 1000-Yen-Scheine heraus und lässt sie zu Boden fallen. Da kein Wind weht, schweben sie geradewegs zur Erde und bleiben dort liegen. Der Mann zieht den Handschuh an, hebt den Arm und wirft einen Blick auf seine Armbanduhr. Jede seiner Bewegungen ist unnatürlich langsam. Der Mann zeigt nicht die geringste Eile. Es scheint, als beabsichtige er damit, den drei Frauen das Gewicht seiner Existenz vor Augen zu führen. Was er auch tut, er kann sich so viel Zeit dabei lassen, wie er will. Die ganze Zeit über brummt der Motor wie ein ungeduldiges Tier.
    »Danke«, sagt Kaoru.
    »Wenn du die Polizei rufst, bricht hier in der Gegend vielleicht ein Brand aus«, sagt der Mann.
    Eine Weile herrscht tiefe Stille. Ohne den Blick abzuwenden, steht Kaoru mit verschränkten Armen vor ihm und starrt ihn an. Die verschwollenen Augen der Prostituierten, die von dem Gespräch kein Wort versteht, wandern verunsichert zwischen den beiden hin und her.
    Kurz darauf setzt der Mann seinen Helm auf und winkt die Frau auf den Rücksitz seines Motorrads. Sie klammert sich mit beiden Händen an seiner Jacke fest und dreht sich um, um erst Mari und dann Kaoru anzusehen. Dann noch einmal Mari. Sie scheint etwas sagen zu wollen, schweigt dann aber doch. Der Mann würgt mit einem heftigen Tritt den Gang rein, gibt Gas auf und rast davon. Der Auspuff röhrt durch die nächtliche Straße. Kaoru und Mari sind allein. Kaoru bückt sich und sammelt

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