Afterdark
tanken.«
»Ich verstehe, lassen Sie sich ruhig Zeit.«
Shirokawa stellt die Plastiktüte mit der Milch und dem Joghurt neben seine Mappe, verschränkt die Arme und schließt die Augen. Wahrscheinlich wird er gar nicht schlafen können. Aber er hat keine Lust, auf dem ganzen Weg mit dem Fahrer Small Talk zu machen. Mit geschlossenen Augen versucht er, an etwas zu denken, das seine Nerven nicht aufreibt. Etwas Alltägliches, ohne tiefere Bedeutung. Oder an etwas rein Ideelles. Es fällt ihm aber absolut nichts ein. In dieser Leere spürt er nur den stechenden Schmerz in seiner rechten Hand. Er pocht im Verein mit seinem Herzschlag, und in Shirokawas Ohren ertönt so etwas wie Meeresrauschen. Seltsam, denkt er. Wo das Meer doch so weit entfernt ist.
Nach einer Weile hält Shirokawas Taxi an einer Ampel. Es ist eine große Kreuzung, an der es lange rot bleibt. Neben dem Taxi wartet die schwarze Honda mit dem Chinesen. Der Abstand zwischen den beiden beträgt kaum einen Meter. Aber der Mann auf dem Motorrad starrt nur geradeaus, ohne Shirokawa zu bemerken. Der ist tief in seinen Sitz gesunken und hält die Augen geschlossen. Er lauscht dem eingebildeten Meeresrauschen. Die Ampel wird grün, das Motorrad braust sofort davon. Das Taxi fährt ruhig an, um Shirokawa nicht zu wecken, biegt nach links ab und verlässt das Viertel.
13
04:09 Uhr
Mari und Takahashi sitzen nebeneinander auf den beiden Schaukeln in dem menschenleeren nächtlichen Park. Takahashi sieht Mari im Profil. Er blickt verständnislos drein. Sie setzen ihr Gespräch fort.
»Sie wacht nicht auf?«
Mari sagt nichts.
»Woran liegt das?«, fragt er.
Mari starrt schweigend und unentschlossen zu Boden. Sie ist noch nicht bereit, darüber zu sprechen.
»Können wir ein Stück gehen?«, fragt sie.
»Klar, gehen wir. Gehen ist immer gut. Langsam gehen und viel Wasser trinken.«
»Wie meinst du das?«
»Das ist mein Lebensmotto. Langsam gehen und viel Wasser trinken.«
Mari sieht ihn an. Komisches Motto. Aber sie denkt sich nichts Besonderes dabei und fragt auch nicht nach. Sie steht von der Schaukel auf und setzt sich in Bewegung. Takahashi folgt ihr. Sie verlassen den Park und wenden sich der beleuchteten Straße zu.
»Gehst du noch mal ins »Sky Lark« zurück?«, fragt Takahashi. Mari schüttelt den Kopf. »Es ist ziemlich anstrengend, sich in einem Familienrestaurant auf ein Buch zu konzentrieren.«
»Ich glaube, ich weiß, was du meinst.«
»Wenn es geht, will ich noch mal im Hotel >Alphaville< vorbeischauen.«
»Ich bringe dich hin. Es liegt sowieso in der Nähe von unserem Probenraum.«
»Kaoru hat gesagt, ich kann jederzeit vorbeikommen, aber meinst du, ich falle ihr lästig?«
Takahashi schüttelt den Kopf. »Ihr Wortschatz ist vielleicht nicht der feinste, aber sie ist ehrlich. Wenn sie sagt, du kannst jederzeit kommen, dann meint sie das auch.«
»Aha.«
»Außerdem haben die um die Uhrzeit eh nicht viel zu tun. Ich glaube, sie freut sich, wenn du sie besuchst.«
»Du musst noch mit der Band proben, oder?«
Takahashi schaut auf die Uhr. »Weil es für mich wahrscheinlich das letzte Mal ist, probe ich die ganze Nacht mit. Ich will noch mal mein Bestes geben.«
Die beiden kehren ins Zentrum des Viertels zurück. Natürlich sind um diese Zeit kaum Menschen auf der Straße. Um vier Uhr morgens ist die Stadt am ruhigsten. Auf den Straßen liegt alles Mögliche herum. Bierdosen aus Aluminium, zertrampelte Seiten von Abendzeitungen, zerdrückte Pappkartons, PET Flaschen, Zigarettenkippen. Ein zerbrochenes Autorücklicht. Ein Baumwollhandschuh. Irgendwelche Gutscheine. Erbrochenes auch. Ein paar große schmutzige Katzen beschnuppern gierig eine Mülltüte. Sie wollen sich unbehelligt von den Ratten und, ehe es Tag wird und die grimmigen Krähen auf Futtersuche gehen, ihren Anteil sichern. Die Hälfte der Neonlichter ist erloschen, sodass die hell erleuchteten Supermärkte, die nachts offen haben, nun besonders ins Auge fallen. Hinter den Scheibenwischern der geparkten Autos klemmen alle möglichen Werbezettel. Unentwegt dröhnen auf der nahen Hauptstraße riesige Lastwagen vorbei. Um diese Zeit schaffen die Lastkraftfahrer die größten Distanzen, weil die Straßen leer sind. Mari zieht sich ihre Red-Socks-Mütze tief ins Gesicht und vergräbt beide Hände in den Taschen ihrer Stadionjacke. Wenn sie nebeneinander hergehen, fällt der Größenunterschied zwischen den beiden ziemlich auf.
»Warum trägst du eigentlich eine
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