Afterdark
legt die Papiere, die er mitnehmen wird, in eine braune Ledermappe und zieht sein Jackett an. Den Waschbeutel verstaut er wieder im Spind. Dann stellt er die große Einkaufstüte, die neben ihm auf dem Boden steht, auf den Schreibtisch. Er setzt sich auf den Stuhl, nimmt die Dinge in der Tüte einzeln heraus und untersucht sie. Es sind die Sachen, die er im »Alphaville« der chinesischen Prostituierten weggenommen hat.
Eine dünne cremefarbene Jacke, rote Schuhe mit flachen Absätzen und abgelaufenen Sohlen. Ein dunkelrosa Pullover mit rundem Ausschnitt und Perlenbesatz, eine weiße bestickte Bluse, ein blauer enger Minirock. Eine schwarze Strumpfhose. Grellrosa Unterwäsche mit billiger synthetischer Spitze. Der Eindruck, der von diesen Kleidungsstücken ausgeht, ist eher trist als sexuell erregend. An der Bluse und an der Unterwäsche klebt dunkles Blut. Eine billige Armbanduhr. Eine schwarze Kunstledertasche.
Shirokawa nimmt die Dinge einzeln in die Hand und untersucht sie, mit einer Miene, als frage er sich, wie diese Sachen nur hierher gekommen sind. Es ist eine verwunderte Miene, die zugleich Argwohn und Unsicherheit verrät. Natürlich weiß er noch genau, was er im Hotel »Alphaville« getan hat. Jeder Versuch, es zu vergessen, wird schon von dem Schmerz in seiner rechten Hand vereitelt. Die ganzen hier versammelten Gegenstände haben in seinen Augen keine Bedeutung. Sie sind wertloser Plunder. Vor allem gehören sie nicht zu der Art von Dingen, die Zutritt zu seinem Leben haben sollten. Dennoch führt er seine Arbeit ausdruckslos und auf seine Weise gewissenhaft durch und schreitet mit seinen Ausgrabungen schäbiger Relikte aus der jüngeren Vergangenheit voran.
Er öffnet den Verschluss der Handtasche und kippt den Inhalt auf den Schreibtisch. Papiertaschentücher, Puder, Lippenstift, Eyeliner und ein paar andere kleine Kosmetikartikel. Halsbonbons. Ein Döschen Vaseline und ein Päckchen Kondome. Zwei Tampons. Eine zierliche Tränengas-Spraydose (ein Glück für Shirokawa, dass sie nicht die Zeit hatte, die aus der Tasche zu holen). Billige Ohrringe. Pflaster. Eine Pillendose mit einigen Tabletten. Ein braunes Lederportemonnaie mit den drei Zehntausend-Yen-Scheinen, die er ihr am Anfang gegeben hatte, mehrere Tausend-Yen-Scheine und etwas Kleingeld. Eine Telefonkarte und eine U-Bahn-Fahrkarte. Ein Gutschein für einen Friseur. In der Tasche befindet sich nichts, das einen Hinweis auf ihre Identität geben könnte. Nach kurzem Zögern nimmt Shirokawa das Geld und steckt es in seine Hosentasche. Es ist ohnehin das Geld, das er ihr gegeben hat. Er nimmt es sich nur zurück.
In der Tasche ist auch ein zugeklapptes Prepaid-Handy. Der Besitzer ist nicht zu ermitteln, aber es gibt eine Mailbox. Er schaltet sie ein und drückt die Abspieltaste. Es sind ein paar Nachrichten darauf, aber alle auf Chinesisch. Immer dieselbe Männerstimme, schnell sprechend und dem Ton nach schimpfend. Die Botschaften selbst sind kurz. Natürlich versteht Shirokawa ihren Inhalt nicht, dennoch hört er sie bis zum Ende an und schaltet erst dann die Mailbox ab.
Er holt sich irgendwoher eine Mülltüte aus Papier und packt alles außer dem Handy hinein, drückt die Tüte ganz klein zusammen und faltet die Öffnung. Dann steckt er sie in einen Plastikmüllbeutel, presst die Luft heraus und verschließt auch ihn. Das Handy legt er getrennt von den anderen Sachen auf seinen Schreibtisch. Er nimmt es in die Hand, betrachtet es einen Moment und legt es wieder auf den Schreibtisch zurück. Offenbar überlegt er, wie er es am besten loswerden kann. Vielleicht gibt es irgendeinen Verwendungszweck dafür, aber er kommt noch zu keinem Schluss.
Shirokawa schaltet den CD-Spieler aus, schiebt ihn tief in die unterste Schublade seines Schreibtisches und schließt sie ab.
Nachdem er seine Brille gründlich mit einem Taschentuch poliert hat, ruft er sich über das Telefon auf seinem Schreibtisch ein Taxi. Er nennt seinen Namen und den der Firma. Das Taxi wird in zehn Minuten zu seiner Verfügung stehen. Er zieht den grauen Trenchcoat über, der an der Garderobe hängt, und steckt das auf dem Schreibtisch liegende Handy der Prostituierten in die Tasche. Er nimmt seine Mappe und den Müllbeutel. An der Tür bleibt er stehen und lässt den Blick noch einmal durch den ganzen Raum schweifen. Nachdem er sich vergewissert hat, dass alles in Ordnung ist, löscht er das Licht. Obwohl er alle Lichter ausgeschaltet hat, wird es nicht ganz dunkel im Raum.
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