Afterdark
Gefängnis oder so was gehen dürfen.
Was ein Gefängnis ist, konnte ich damals natürlich noch nicht wissen. Aber ich wusste, dass es Ähnlichkeit mit einem großen Schrank hatte. Dämmrig, beängstigend und unheimlich. Mein Vater hätte von vorneherein nie an solch einen Ort gehen dürfen.«
Hier beendet Takahashi seine Geschichte.
»War dein Vater schon mal im Gefängnis?«
Mari schüttelt den Kopf. »Ich glaube nicht.«
»Deine Mutter?«
»Auch nicht.«
»Da hast du Glück. Für dein Leben ist das höchst erfreulich«, sagt Takahashi. Dann lächelt er. »Vielleicht hast du es nur nicht gemerkt.«
»Daran habe ich noch nie gedacht.«
»Das tun die meisten Menschen nicht. Ich schon.«
Mari wirft einen Blick auf Takahashis Gesicht.
»... Und ist dein Vater später noch mal ins Gefängnis gekommen?«
»Mein Vater ist danach nie mehr mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Oder doch, wahrscheinlich doch. Eigentlich bin ich mir sogar sicher. Denn er ist ein Mensch, der einfach keinen geraden Weg gehen kann. Zumindest hat er sich nicht mehr bei etwas so Schwerwiegendem erwischen lassen, dass er wieder ins Gefängnis gemusst hätte. Bestimmt hat er es gehasst, ins Gefängnis zu gehen. Vielleicht verspürt er auch trotz allem meiner toten Mutter und mir gegenüber so etwas wie persönliche Verantwortung. Jedenfalls ist er, auch wenn er sich in einer Grauzone bewegt, ein einigermaßen respektabler Geschäftsmann geworden. Bis jetzt ging es die ganze Zeit immer extrem auf und ab. Zeitweilig waren wir entweder sehr reich oder total verarmt. Als würde man ständig Achterbahn fahren. Entweder er hatte einen schicken Mercedes mit Chauffeur oder er konnte sich nicht mal ein Fahrrad kaufen. Es kam auch vor, dass er bei Nacht und Nebel abhauen musste. Wir haben nie lange an einem Ort gewohnt, und ich musste fast jedes halbe Jahr die Schule wechseln. Natürlich konnte ich keine Freundschaften schließen. Das ging so, bis ich in der sechsten Klasse war.«
Takahashi steckt die Hände wieder in die Jackentaschen und schüttelt den Kopf, wie um die düsteren Erinnerungen zu verscheuchen.
»Aber inzwischen ist er immer ruhiger geworden. Schließlich gehört er zur Baby-Boom-Generation, und die sind unverwüstlich. Mick Jagger hat sogar noch einen Adelstitel gekriegt. Die halten mit Zähnen und Klauen durch bis zum Schluss und überleben. Auch ohne Reflexion lernt man seine Lektion. Was mein Vater jetzt genau macht, weiß ich nicht. Ich frage ihn auch nicht. Er würde sich ohnehin nicht die Mühe machen, es mir zu erklären. Immerhin bezahlt er pünktlich meine Studiengebühren. Und wenn er mal Lust hat, gibt er mir auch Taschengeld. Es gibt Dinge auf der Welt, die man besser nicht weiß.«
»Dein Vater hat wieder geheiratet, ja?«
»Vier Jahre nach dem Tod meiner Mutter. Er gehört nicht zu diesen bewundernswerten Typen, die als Mann allein ein Kind großziehen.«
»Dein Vater und seine neue Frau haben keine Kinder?«
»Nein, ich bin Einzelkind. Aber sie hat mich wirklich wie ihr eigenes Kind behandelt. Dafür bin ich ihr sehr dankbar. Ich weiß, dass das Problem bei mir liegt.«
»Welches Problem?«
Takahashi sieht Mari mit einem Lächeln an. »Wenn du einmal Waise warst, bleibst du es bis zu deinem Tod. Ich habe immer wieder den gleichen Traum. Ich bin sieben und werde zur Waise. Ich bin ganz allein ohne einen Erwachsenen, auf den ich mich verlassen kann. Es ist Abend, und es wird jeden Moment dunkler. Gleich wird es tiefschwarze Nacht sein. Immer der gleiche Traum, in dem ich wieder sieben Jahre alt bin. Ist die Software einmal verseucht, kann man sie eben nicht mehr austauschen.«
Mari schweigt nur.
»Aber ich versuche, möglichst nicht andauernd an dieses belastende Zeug zu denken«, sagt Takahashi. »Es hilft ja doch nichts, darüber nachzugrübeln. So lebe ich einfach normal von einem Tag zum anderen.«
»Viel gehen und langsam Wasser trinken ist das Beste, stimmt's?«
»Nein, umgekehrt«, sagt er. »Langsam gehen und viel Wasser trinken.«
»Ist doch eigentlich egal, wie rum.«
Takahashi zieht das ernsthaft in Erwägung. »Da könntest du Recht haben.«
Mehr sagen die beiden nicht. Schweigend und weiße Wolken ausatmend gehen sie weiter, während allmählich die Dämmerung heraufzieht. Sie kommen vor dem »Alphaville« an, und sein grelles lila Neonlicht kommt Mari jetzt sogar vertraut und heimatlich vor.
Takahashi bleibt im Eingang stehen und sieht Mari außerordentlich ernst in die Augen.
»Ich muss
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