Agent 6
bekamen von ihm Waffen und entwickelten Strategien. Wenn die Pakistaner dem Vorschlag zustimmten – ihre Unterstützung war entscheidend –, würden sie CIA -Agenten kontaktieren, mit denen diese extrem nationalistische Splittergruppe der Mudschaheddin bisher noch nie zu tun gehabt hatte. Wenn sie Leos Überlaufen als Brücke zur CIA nutzte, konnte daraus eine wichtige Verbindung entstehen. Die Ältesten waren erpicht darauf, dass ihre Gruppe als eine der ersten von den Amerikanern Unterstützung erhielt, falls welche gewährt wurde, weil sie wussten, welche Gefahren es mit sich bringen würde, wenn andere Gruppen bewaffnet wurden und sie nicht. Sie waren nicht nur auf den Sieg über die Sowjets aus, den sie für unausweichlich hielten, sie rangen auch untereinander um Macht, sie spielten auf lange Sicht mit Blick auf die Zeit nach dem Zusammenbruch der Besatzung.
Wenn sie Peschawar erreicht hatten, würde Leo versuchen überzulaufen. Er würde gute Argumente vorbringen müssen. Soweit er die Haltung der USA verstanden hatte, gab es im Land großen Widerstand gegen eine Einmischung in Afghanistan, vor allem nach Vietnam. Die Sowjets nutzten das aus, sie wussten, dass die amerikanische Öffentlichkeit nicht noch einen weit entfernten und teuren Militäreinsatz dulden würde. Präsident Carter hatte mit einem amerikanischen Boykott der Olympischen Spiele in Moskau gedroht, wenn die Sowjetunion ihre Truppen nicht zurückziehen würde, und hatte für den Februar ein Ultimatum gesetzt. Am Stichtag wurde offiziell verlautbart, dass kein amerikanischer Sportler teilnehmen würde. Sogar dieser symbolische Protest war umstritten. Wenn die amerikanische Öffentlichkeit schon eine so passive Maßnahme in Frage stellte, war kaum davon auszugehen, dass sie ein militärisches Eingreifen unterstützen würde. Geographisch gesehen war Afghanistan weit von den USA entfernt und strategisch gesehen von geringer Bedeutung. Möglicherweise würde die CIA kein großes Interesse daran haben, dass er überlief, oder sie würde es in der angespannten Lage für zu gefährlich halten, ihn aufzunehmen. Wenn die CIA nicht auf den Vorschlag einging, würde Fahad ihn mit Sicherheit töten, diese Drohung hing unausgesprochen über der ganzen Mission. Aber dieses Problem musste warten. Noch waren sie nicht in Peschawar.
Um Afghanistan zu verlassen, folgten sie der Seidenstraße, einem der ältesten Handelswege der Welt, der seit Jahrtausenden umkämpft war. Auf beiden Seiten eingefasst von Bergen, die nur extrem erfahrene Bergsteiger passieren konnten, bildete der Khyber-Pass einen strategischen Durchlass für Armeen, Banditen, Händler und Reisende. Mit einem kleinen Mädchen in der Gruppe war der Pass ihre einzige Möglichkeit, die Berge konnten sie nicht überwinden. Es gab zwei Straßen, eine für traditionelle Karawanen und Karren, eine für Laster und Autos. Beide befanden sich in der Hand der Sowjets. Der Khyber-Pass wurde von Patrouillen und Kontrollpunkten streng überwacht. Fahad plante, sie über die Hänge entlang der Straße zu führen. An manchen Stellen wurde der Pass von sanften Hängen begrenzt, die kein Problem darstellen würden. An anderen Abschnitten fielen die Felsen steil ab. Für ihren Weg mussten sie einen Kompromiss zwischen einem sicheren Abstand zu den sowjetischen Soldaten und den Gefahren der Landschaft finden. Je weiter sie sich von dem Pass entfernten, desto tückischer wurde das Klettern. Je näher sie ihm kamen, desto stärker liefen sie Gefahr, entdeckt zu werden.
Weder Mond noch Sterne spendeten ihnen Licht, der Nachthimmel wurde von einem heftigen Sturm verfinstert, der unerwartet aufgezogen war und finstere Wolken tief über ihnen hinwegtrieb. Das einzige Licht stammte von Blitzen, die aufzuckten wie Funken von einem Feuerstein. Ein kalter, heftiger Wind blies ihnen entgegen, er war so stark, dass sie gebückt gehen mussten. Sie kamen nur langsam voran. In der Nähe der sowjetischen Stellungen blieb ihnen keine andere Wahl, als im Schutz der Dunkelheit weiterzugehen. Tagsüber hatten Kampfhubschrauber über den Bergen ihre Kreise gezogen und jeden auf den Pfaden beschossen. Fahad sagte, seit den Anfängen der Besatzung habe er nicht mehr so viele sowjetische Soldaten an der Grenze gesehen. Leo fragte sich, ob die Hubschrauber nach ihnen suchten. Vielleicht hatte Hauptmann Waschtschenko erraten, was sie vorhatten. Bei dieser strengen Bewachung durch das Militär mussten sie die Grenze vor Tagesanbruch
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