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Agent 6

Titel: Agent 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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überqueren.
    Nachdem sie mehrere Stunden lang gelaufen, geklettert und auf allen vieren gekrochen waren, überquerten sie eine flache, spärlich bewachsene Hügelkuppe. Rechts neben ihnen fiel das Land schroff zu der von den Sowjets kontrollierten Straße ab. Von ihrer erhöhten Position auf dem Plateau aus konnten sie die Lichter der Truppen unten sehen. Zum Glück überdeckte der Wind jedes Geräusch, das sie machten. Aber sogar eine Streichholzflamme würde man sehen, und um nicht entdeckt zu werden, durften sie keine Taschenlampe benutzen. Fahad ging voran, er schien den Weg instinktiv zu erspüren, und sie mussten sich ganz auf seine Kenntnis des Geländes verlassen. Plötzlich blieb er stehen und blickte in den unruhigen Himmel hinauf.
    – Der Sturm nimmt zu.
    Leo fragte:
    – Schaffen wir es noch bis zu einem Unterschlupf?
    – Es gibt keinen, bevor wir Pakistan erreichen.
    – Sollen wir zurückgehen?
    Nachdem Leo sich mittlerweile an den Gleichmut des Mudjaheddin gewöhnt hatte, rechnete er fast damit, dass dieser die Idee sofort abschmettern würde. Aber Fahad dachte ernsthaft darüber nach.
    – Wir sind schon zu weit gegangen. Der Weg zurück wäre genauso schwierig wie weiterzugehen.
    Als Leo das hörte, zog er den einzig möglichen Schluss.
    – Dann gehen wir weiter.
    Als er den nächsten Schritt machen wollte, zog jemand an seiner Hand. Es war Zabi. In der Dunkelheit konnte er sie nicht sehen, er hörte sie nur sagen:
    – Hör mal.
    Er hörte den Sturm. Dann mischte sich unter den Lärm ein mechanisches Geräusch – der Klang von Triebwerken. Obwohl es stockfinster war, starrte Leo nach oben in Richtung des Flugzeugs, weil er hoffte, durch die Beleuchtung könnten sie die Feinde sehen. Die Hänge am Khyber-Pass waren ein naheliegendes Ziel für Bombardierungen, weil dort immer die Wahrscheinlichkeit bestand, Waffen- und Drogenschmuggler oder, wie in ihrem Fall, Deserteure zu treffen.
    – Wir müssen hier weg!
    Leos Schrei ging im Sturm unter. Es gab nichts, wohin sie laufen konnten, das Plateau bot keinen Schutz. Die Maschinengeräusche wurden lauter. Leo kauerte sich hin und schirmte Zabi mit seinem Körper ab, als das Flugzeug direkt über sie hinwegflog.
    Der Lärm der Triebwerke erreichte seinen Höhepunkt und verklang, als der Sturm ihn schluckte. Es folgten weder Bomben noch Explosionen. Offenbar war es ein Transportflugzeug. Erleichtert stand Leo auf und blickte in den schwarzen Himmel. Als ein Blitz durch die Wolken zuckte, erkannte er in einem winzigen Moment Hunderte von schwarzen Flecken, einen Schneesturm, der sich auf sie senkte. Dann erlosch das Licht, und Leo starrte wieder in die Dunkelheit und wartete auf den nächsten Blitz. Als er schließlich kam, waren die Schneeflocken nur noch weniger Meter über ihnen, aber sie waren kein Schnee, sondern faustgroße Gegenstände, die wirbelnd herabfielen. Fahad rief:
    – Nicht bewegen!
    Die erste Schmetterlingsmine landete in ihrer Nähe. Leo sah sie nicht, aber er hörte den Aufprall, dann noch einen und noch einen, einige nah, andere weiter weg. Sie explodierten nicht, sondern blieben auf dem Boden liegen, ihre Gruppe war umgeben von ihnen. Als es blitzte, sah Leo eine Mine direkt über sich, sie zielte auf seinen Kopf. Er trat einen Schritt zurück und zog Zabi mit sich, die Mine glitt an seinem Gesicht vorbei, streifte beinahe seine Nase und fiel direkt zwischen ihm und Fahad zu Boden – genau auf die Stelle, auf die er hatte treten wollen.
    Innerhalb von Sekunden war das gesamte Plateau unpassierbar geworden. Sie konnten weder vor noch zurück.

Am selben Tag
    Sie saßen in der Falle. Selbst bei Tageslicht würden sie nur langsam vorankommen, weil sie sich vorsichtig einen Weg zwischen den Minen hindurchbahnen müssten. Deren Plastikgehäuse in Orange und Rot waren von dem Boden kaum zu unterscheiden. Nara sagte:
    – Morgen früh können wir ihnen bei Licht besser ausweichen.
    Dabei klang sie alles andere als überzeugt. Leo murmelte:
    – Der sowjetische Grenzschutz ist ganz in der Nähe.
    – Vielleicht bleibt uns trotzdem genug Zeit.
    – Wenn die Sonne aufgeht, werden sie hier als Erstes suchen.
    Fahad beendete die Diskussion.
    – Wir müssen warten, bis es hell wird. Wir haben keine andere Wahl. Passt auf, dass ihr eure Füße nicht bewegt und nicht einschlaft. Nur der Platz, an dem ihr gerade steht, ist sicher. Morgen früh müssen wir dann sehen, dass wir schnell vorankommen. Ruht euch jetzt lieber aus.
    Leo

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