Agent 6
Nase. Niemand hörte Leo zu oder achtete auf ihn. Wieder rief er:
– Für wie viele Waffen lasst ihr sie leben?
Der Anführer des Rats lachte Leo aus.
– Für zehntausend Maschinengewehre und eintausend Mörser kannst du die Frau haben.
Die Ältesten lachten. Leo antwortete:
– Abgemacht. Wenn ihr das hier beendet!
Das Lachen verstummte, die Ältesten sahen Leo an und versuchten herauszufinden, ob er es ernst meinte. Leo fügte hinzu:
– Zehntausend Gewehre, vielleicht mehr.
Der Anführer hob einen Arm.
– Ich will hören, was er zu sagen hat.
Auf Befehl des Rats wurde das Pony angehalten. Nara war gute zwanzig Meter weit über den Boden geschleift worden. Sie bewegte sich nicht. Zabi hatte beide Hände zu Fäusten geballt und drückte sie auf die Augen. Der Anführer kam auf Leo zu, er roch nach Tabak. Von Nahem erkannte Leo, dass der Mann viel jünger war, als er wirkte. Seine Haut war rissig und sein Bart grau, aber er war jünger als Leo.
– Du zögerst ihren Tod nur um Sekunden hinaus, wenn du uns nichts Interessantes zu sagen hast.
Das war Leos letzte Chance.
– Du hast gesagt, dass die Russen mich töten wollen. Das stimmt. Du gibst zu, dass ich als Geisel wertvoll bin. Auch das stimmt. Jetzt überleg mal, was für sie das Schlimmste wäre.
Der Anführer des Rats zuckte mit den Schultern.
– Das Schlimmste ist schon passiert. Wir haben dich lebend gefangen genommen. Du wirst uns sagen, was du weißt.
– Ich könnte euch die technischen Einzelheiten der Maschinengewehre an den Krokodil-Hubschraubern nennen. Ich könnte auf Karten Truppenbewegungen aufzeichnen. Die meisten Informationen kann ich euch in ein paar Stunden geben. Aber damit habt ihr weder die Gewehre noch die Mörser oder die Munition, die ihr braucht. Aber stell dir Folgendes vor: Was würde passieren, wenn der wichtigste Berater der Sowjetunion zu den Amerikanern überläuft, wenn ihr mich über die Grenze nach Pakistan bringt?
Der Mann schüttelte den Kopf.
– Das ist ein Trick.
– Nein, das ist ein ernsthafter Vorschlag. Stell dir vor, was passieren würde, wenn ich die Amerikaner davon überzeuge, euren Kampf zu unterstützen.
– Wie würdest du das anstellen?
– Indem ich ihnen die Wahrheit über den Krieg erzähle. Indem ich ihnen erkläre, was für die Sowjetunion, ihren größten Feind, auf dem Spiel steht.
– Was steht denn auf dem Spiel?
– Die Amerikaner haben hier in Afghanistan die Gelegenheit, dem sowjetischen Militär einen Schlag zu versetzen, ohne einen Atomkrieg zu riskieren. Und das wissen die sowjetischen Befehlshaber. Das ist ihre größte Angst. Sie bauen darauf, dass die Amerikaner sich nicht für ein Land interessieren, das so weit weg liegt. Sie hoffen, dass sich Amerika nach der Erfahrung mit Vietnam zurückhält. Ich werde den Amerikanern begreiflich machen, dass sie sich in diesen Krieg einmischen müssen. Diese Gelegenheit dürfen sie sich nicht entgehen lassen.
Leo war im Krieg ein Held gewesen, er hatte sein Leben unzählige Male riskiert, um die Sowjetunion gegen die vorrückenden faschistischen Truppen zu verteidigen. Jetzt verriet er sein Heimatland und brachte sowjetische Truppen in Gefahr, aber er hatte nicht gekämpft, damit sein Land Dörfer bombardieren und Ackerland verbrennen konnte.
Die Ältesten traten zusammen und diskutierten über die Idee. Ihr Gemurmel hallte von den Höhlenwänden wider. Die anderen, jungen Soldaten blieben wie immer stumm und hielten sich zurück. Leo konnte Nara nicht ansehen. Sie lag mit dem Gesicht nach unten da, ihre Kleidung war zerrissen. An den Beinen hatte sie Schnittwunden. Er war nicht sicher, ob sie bei Bewusstsein war. Schließlich wandte sich der Rat wieder Leo zu; die Männer versuchten, sein Überlaufen aus ideologischer Sicht zu verstehen.
– Wir begreifen das nicht ganz. Warum solltest du Schande über dich bringen? Du wärst ein Verräter.
– Meine Beweggründe müssen euch nicht interessieren.
– Aber wie sollen wir wissen, dass du es ernst meinst?
– Fragt Fahad Mohammad. Er hat gesehen, wie ich mit einem Messer auf einen Hauptmann der sowjetischen Armee losgegangen bin. Ich habe ihn verwundet. Ich bin jetzt schon ein Verräter.
– Das könnte ein Trick sein.
– Mit welchem Ziel? Fragt den Mann, der es gesehen hat, ob er glaubt, ich hätte etwas vorgespielt.
Der Rat wandte sich an Fahad Mohammad.
– Was glaubst du?
– Wenn es ein Trick ist, verstehe ich ihn nicht.
Das war eine
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